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Biografie: “Norah Jones 2006”.doc

Norah Jones
05.12.2006
Norah Jones
“Not Too Late”

Norah Jones hat die Welt mit ihrer Unverwechselbarkeit erobert, mit ihrer sanften Stimme, die eine göttliche Gabe ist, mit ihrem verträumten Pianospiel, in dem das Gefühl der hohen technischen Kunst immer einen Schritt voraus scheint, schließlich auch mit ihren zart verwobenen Kompositionen, die ihre Karriere noch überirdischer erscheinen lassen. Mit “Not Too Late”, ihrem dritten Album auf Blue Note, legt die aparte Künstlerin zum ersten Mal ein komplettes Werk mit Songs vor, die sie selbst komponiert hat – 13 Songs, die sich mit erstaunlicher Leichtfertigkeit in emotionale Tiefen stürzen und so die eigene Geisteshaltung erforschen, die das Leben in einer immer problematischer werdenden Welt erfordert.

“Vor drei oder vier Jahren habe ich gesagt, dass ich vor allem mein Songwriting verbessern möchte”, erklärt die in New York lebende Künstlerin, die eine Vielzahl von Grammys und Platinalbumauszeichnungen auf sich vereint. Dabei hatte sie es gar nicht einmal darauf angelegt, diesmal alle Songs selbst zu schreiben. Doch während ihrer letzten Tour, so sagt sie, “kam ich mit dem Songschreiben richtig in einen Sog und zuhause hat sich das fortgesetzt. Ich interpretiere sehr gerne Songs von anderen Autoren, aber ich fühle mich ihnen nicht immer so nah wie meinen eigenen Songs. Die sind viel ehrlicher, näher an meinem Innersten – das neue Album ist einfach sehr viel persönlicher.”

Produziert hat das neue Album Lee Alexander, der langjährige Bassist der Begleitband von Norah Jones, der auch einige Songs mitgeschrieben hat. “Not Too Late” ist ein Musterbeispiel an Sicherheit und Reife: Während Tempo und Stil der Songs weite Bögen schlagen, bleibt die seelenvolle Interpretation der Sängerin ihr unverkennbares Markenzeichen. Die 27-jährige Musikerin weiß selbst allzu gut, wie sehr sie als Songwriterin gereift und gewachsen ist. “Wenn ich heute auf meine frühen Songs zurückschaue, kommen sie mir schon ein wenig einfach vor”, räumt sie ein. “Die neuen Songs haben allein schon deswegen mehr Persönlichkeit, weil sie weitaus komplexer sind. Einige von ihnen sind düster und zynisch, aber es gibt auch ein Gefühl von Hoffnung. Deswegen heißt das Album auch ‘Not Too Late’. Ich mag diese positive Aussage.”

Die steile Karriere der Norah Jones begann mit ihrem viel versprechenden Debütalbum “Come Away With Me”, das im Jahr 2002 auf Blue Note erschien. Niemand hätte ahnen können, welche starken Reaktionen die damals 22-jährige Sängerin weltweit auslösen würde – und das mit samtweicher und verführerischer Musik, bei der Jazz, Country, Blues und Folk unmerklich und wunderbar miteinander verschmolzen. Das Album, eine Mischung aus Originalkompositionen (von ihr selbst und Freunden wie Jesse Harris) und delikaten Coverversionen (von Hank Williams, Hoagy Carmichael und J.D. Loudermilk), verkaufte sich allein in den USA nahezu zehn Millionen Mal und die weltweiten Absätze belaufen sich mittlerweile auf mehr als 20 Millionen. Dass Norah Jones mit diesem Sensationsdebüt bei den Grammys 2003 als achtfache Gewinnerin hervorging, hat sicherlich zum Status eines Stars beigetragen, dem von allen Seiten eine langjährige Karriere in der internationalen Popszene prophezeit wird. Norah Jones verfügt eben über eine einzigartige Stimme, die so fragil wie vereinnahmend ist, die mal verträumt, mal wehmütig, mal bittersüß oder alles gleichzeitig sein kann. Eine Stimme, die Millionen Menschen tief in ihren Herzen berührt.

Zwei Jahre nach ihrem weltweit gefeierten Erstlingswerk folgte das nicht minder superbe Album “Feels Like Home”, das sich seinem Titel entsprechend schnell bei ihren Fans daheim ein Zuhause fand. Erneut war es die kongeniale Mixtur aus Songs, die Norah Jones mit ihrer Band geschrieben hatte und einigen ausgesuchten Coverversionen, deren nonchalanten Interpretationen niemand widerstehen konnte. “Feels Like Home” stürmte prompt an die Spitze der Billboard Charts und wurde allein in den USA vier Millionen Mal verkauft. In Deutschland war das dreifach mit Platin ausgezeichnete Album das zweiterfolgreichste des gesamten Jahres. Weltweit wurden mehr als zehn Millionen Exemplare dieses zweiten Meisterwerks von Miss Jones verkauft. Beide Alben wurden übrigens von der Produzentenlegende Arif Mardin betreut, der im Juni dieses Jahres gestorben ist.

Die Aufnahmesessions zu “Not Too Late” gestalteten sich denn auch grundlegend anders als bei den Vorgängern. “Für die ersten beiden Alben hatten wir für jeweils eine Woche ein Studio gebucht, und waren dann einige Monate später für eine weitere Woche dorthin zurückgekehrt. Das war großartig, aber es gab eben auch einen festen Termin, sodass die Zeit letztendlich limitiert war. Für das neue Album gab es keinen Druck, keine zeitliche Begrenzung. Blue Note wusste noch nicht einmal davon. Wir haben uns einfach aus Spaß zusammengesetzt und geschaut, was dabei herauskommen würde.” So entstanden die meisten Aufnahmen in entspannter, lockerer Atmosphäre im Heimstudio von Lee Alexander und Norah Jones. Dabei war der Verlust von Arif Mardin durchaus spürbar: “Es wäre schön gewesen, dieses dritte Ohr zu haben, diese dritte Meinung. Arif hatte für uns auf wunderbare Art und Weise immer eine herausragende Rolle eingenommen. Er hat uns eher befruchtet als dirigiert. Er hörte sich all unsere Ideen an und machte dann Vorschläge, meist ganz minimale. Und er hat phantastisch zu unserer Crew gepasst. Er war ein echter Kumpel.”

Viele Sessions zu den neuen Songs entstanden spontan, ganz aus dem passenden Moment heraus. “Häufig fragten wir einfach Freunde. ‘Hey, seid ihr heute Nacht in der Stadt? Großartig. Kommt doch einfach rüber.’ Das alles war sehr entspannt und betraf nicht nur Freunde, sondern auch Musiker, die uns von Freunden empfohlen wurden.” So sind auf dem neuen Album neben den Musikern ihrer angestammten Band – neben Bassist Lee Alexander sind das der Gitarrist Adam Levy, der Schlagzeuger Andy Borger und die Sängerin Daru Oda – auch eine ganze Schar illustrer Gastmusiker zu hören. Ob M. Ward und Richard Julian als Backgroundsänger, Jesse Harris an der Rhythmusgitarre, Tony Scherr an der E-Gitarre, Larry Goldings auf der Hammond-B3-Orgel, Bill McHenry am Tenorsaxophon oder Jeff Zeigler vom Kronos Quartet und Julia Kent an ihren Celli, sie alle haben auf dem neuen Album ihre Akzente gesetzt.

Während ihrer Tourneen im letzten und vorletzten Jahr hatte Norah Jones stets ihre Akustikgitarrre mit, auf der sie die meisten der neuen Songs schrieb, darunter “Until The End”, das während einer Tourpause an einem regnerischen Tag auf einer Insel im Südpazifik entstand, sowie die Ballade “Rosies’s Lullabye”, die sie in Australien schrieb und die “so langsam ist, dass man sich fühlt als sei man unter Wasser” (N. Jones). Für den Griff zur Gitarre hat Norah Jones eine simple Erklärung: “Die Gitarre ist einfach und es ist leichter, sie überall hin mitzunehmen, als ein Klavier. So habe ich begonnen, mehr auf der Gitarre zu schreiben.” Nach ihrer Rückkehr wollte sie diese Songs so schnell wie möglich auf Band aufnehmen. Sechs der neuen Songs sind solche Roadsongs, aber richtig in Form gebracht hat sie Lee Alexander. “Meistens schreibe ich die Songs und Lee stutzt dann noch die Songtexte zurecht. Darin ist er einfach großartig.”

So justiert Norah Jones auch die Rolle des Pianos auf ihrem neuen Album ein wenig anders: “Das Piano ist beim Abmischen meist sehr laut, aber ich habe nie viel davon gehalten, es als wichtigstes Rhythmusinstrument einzusetzen, es sei denn, wir spielen etwas, was sehr funky ist. Ich mochte die Gitarre als Rhythmusinstrument schon immer.” Und sie fügt nach einer kurzen Pause hinzu: “Ich spiele nun sogar selbst Gitarre.” Bei dem eindringlichen “Broken” glänzt sie an der E-Gitarre, während Alexander seine Bassextravaganzen auf einem Pizzicato-Bass und einem Bogen auf elf Spuren verteilt hat. Auf dem berührenden “Wake Me Up” wiederum zeigt sich Norah Jones als einfühlsame Akustikgitarristin, während Alexander seiner Lap-Steel-Gitarre fast ein Weinen entlockt. Das Zusammenspiel der beiden überzeugt ein ums andere Mal. Auch der Opener “Wish I Could” kommt ganz ohne Piano aus. Bei dem sich im Wiegenrhythmus eines Walzers bewegenden Stück wird Norah Jones' Gesang lediglich von Jesse Harris an der Gitarre und den beiden Cellisten Kent und Ziegler begleitet.

Auch wenn Norah Jones gerne Liebeslieder schreibt und singt, versucht sie sich zunehmend auf ganz andere Szenarien einzulassen. “Ich möchte vor allem Songs schreiben, die nicht so schablonenhaft sind, Songs mit einem gewissen Etwas. Es ist für mich wirklich schwierig geworden, mich nicht von den Nachrichten beeinflussen zu lassen.” So findet sich auf “Wish I Could” eine Referenz an einen ehemaligen Liebhaber, der den Kriegsdienst antreten musste, und in dem von dunklen Wolken umhüllten und von Alpträumen heimgesuchten “My Dear Country” singt Jones mit spürbarem Schmerz, dass es wesentlich grausigere Dinge gibt als Halloween. Selbst in einem auf den ersten Blick romantisch wirkenden Song wie “The Sun Doesn’t Like You”, der seinen Anfang während einer Tournee in Brasilien nahm, scheint der Songtext von Ränkespielen geradezu durchdrungen.

Für den genialen Moment, den kreativen Funken, musste Norah Jones nicht unbedingt unterwegs sein. Die federleichte Melodie zu “Not My Friend” fiel Norah Jones ein, nachdem sie zuhause im Bett einen Film angeschaut hatte. “Das ist mir noch nie passiert. Normalerweise setze ich mich nach einem Film hin und denke darüber nach. Aber diesmal schrieb ich einfach einen Song.” Sie schaute sich den Film sogar noch ein weiteres Mal an, nur um sicher zu gehen, dass sie die Melodie nicht etwa dem Soundtrack entnommen hatte. Hatte sie nicht. “Was bei der Aufnahme des Songs besonders Spaß gemacht hat, war, dass wir das Band mit Adams Gitarre rückwärts haben laufen lassen.”

Dass der Weg zu einem Song auch beschwerlich sein kann, diese Erfahrung machte Norah Jones mit “Be My Somebody”, einer der ersten Aufnahmen für das neue Album. Während ihr Partner Lee Alexander fort war, um das neue Album von Labelkollege Amos Lee zu produzieren, saß sie missmutig zuhause und kam mit dem Schreiben kein Stück voran. “Ein Freund gab mir einige gute Ratschläge, und als dieser Song erst einmal fertig war, fiel mir der Rest auch leichter.” Der Titelsong des Albums war wiederum die letzte Aufnahme, die fertig wurde. Ein Song, der den Menschen Hoffnung vermitteln möchte, etwas zu ändern, auch wenn sie sich blutleer und ausgepumpt fühlen oder das Kettenrauchen die Sinne vernebelt. “Not Too Late” ist einer der Kompositionen, die Norah Jones lange Zeit mit sich herumgetragen und mit Alexanders Hilfe schlussendlich perfekt und zum richtigen Zeitpunkt umgesetzt hat.

Eine der wohl bis dato ungewöhnlichsten neuen Aufnahmen ist “Sinkin' Soon”, ein Stück zwischen Dixieland aus New Orleans und Barpiano à la Kurt Weill. Das Grundgerüst des Songs stammt von Lee Alexander, von Norah Jones die Bridge. “Irgendwie gelang es uns nicht, das Stück ein einziges Mal durchzuspielen, bevor wir es aufnahmen. So gingen wir erst einmal essen und tranken dann einige Bier. Vielleicht brauchte es einfach dieses Gefühl eines leicht angetrunkenen Seemanns, um es dann in einem Take hin zu bekommen.” Das signifikante Posaunenspiel stammt von J. Walter Hawkes. “Wir haben ihn gebeten vorbeizuschauen, weil er ein alter Freund ist und ein richtiges Original. Sein Solo war einfach perfekt für diesen Song.” Später wurde der Song noch mit dem Backgroundgesang von M. Ward und einer Tom Waits zur Ehre gereichenden Percussion-Session auf Pfannen und Pötten abgeschmeckt. Norahs Teekanne überlebte diese Session allerdings nicht.

Zwei Nummern auf “Not Too Late” greifen weit zurück in die Vergangenheit von Norah Jones. Die auf einer Wurlitzer interpretierte Single “Thinking About You” schrieb sie bereits 1999 gemeinsam mit Ilhan Ersahin von den Wax Poetics, der Band, mit der sie damals arbeitete. “Den Song habe ich eigentlich immer im Hinterkopf gehabt”, so Jones. “Ich dachte lange Zeit, dass dies für meine Verhältnisse zu sehr Pop sei, besser geeignet für jemand anderen. Wir haben sogar für das letzte Album eine Version aufgenommen, aber das war dann zu sehr Country-Rock. Jetzt haben wir einen Weg gefunden, wie der Song funktioniert. Wenn man nach sieben Jahren einen Song noch immer so sehr mag, ist das eine gute Sache.” Ein weiterer Ausflug in die Vergangenheit ist “Little Room”, eine kleine, witzige Nummer, die Norah Jones noch vor ihrem ersten Album in einem kleinen Studio im East Village schrieb, wo das einzige natürliche Licht durch ein vergittertes Fenster fiel.

“Not Too Late” zeigt in all seinem Facettenreichtum, in der schieren Intensität seiner Intimität und in der makellosen Ausführung einen weiteren Riesenschritt in der künstlerischen Evolution von Norah Jones auf. Ihr Charisma und Genie beschützen sie vor dem schnellen Trubel des Popalltags, in dem nicht wenige Künstler heutzutage nach kurzem Auftauchen schnell wieder untergehen. Mit ihren Ruhe und Gewissheit ausstrahlenden Wunderwerken souveräner Songkunst gehört Jones zu den dauerhaften Stars unserer Zeit. Mit jeder ihrer Albumveröffentlichungen bereichert sie die Welt um einen wahrhaften Klassiker. “Not Too Late” bildet da keine Ausnahme. Und es ist tatsächlich keineswegs zu spät, sich hier und jetzt von dem einmaligen Zauber dieser Ausnahmekünstlerin gefangen nehmen zu lassen.

November 2006

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