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Biografie: Rolling Stones 2005

The Rolling Stones
30.08.2005
ROLLING STONES
Biographie

Die Bedeutung der Rolling Stones für die Geschichte des Rock’n'Roll kann gar nicht hoch genug geschätzt werden. Hatte die 1962 in London gegründete Band schon zu Beginn das perfekte Destillat populärmusikalischer Gegebenheiten geschaffen, befruchteten sie im Verlaufe ihrer Karriere etliche musikalische Strömungen und beeinflussten Generationen von Künstlern. Einen solchen Status erreichen in jedem Genre nur eine Hand voll Musiker, und die Stones stehen stolz mitten unter ihnen.

Jedes Album, das die Band bis in die frühen Siebziger veröffentlichte – von “The Rolling Stones” (1964) bis “Exile On Main Street” (1972) – ist nicht nur unentbehrlich, um die Musik jener Zeit zu verstehen, sondern um die Ära an sich zu begreifen. Mit ihrem ausgeprägten Interesse an Blues und R&B machten die Stones ein junges amerikanisches Publikum mit einer Art von Musik bekannt, die der Mehrheit der weißen Amerikaner bis dahin nicht geläufig war. Obwohl die Stones in ihren frühen Jahren nicht als ausgesprochen politisch galten, brachte ihre Begeisterung für afro-amerikanische Musik, von Robert Johnson, Muddy Waters und Howlin' Wolf bis hin zu Chuck Berry, Marvin Gaye und Don Covay, eine Saite zum klingen, die in den Zielen der Bürgerrechtsbewegung widerzuhallen schien. Selbst wenn die Stones nach 1965 kein Album mehr veröffentlicht hätten, wären sie heute Legenden.

Bald allerdings wurden die Rolling Stones – damals mit Mick Jagger als Sänger, Keith Richards und Brian Jones an den Gitarren, Bill Wyman am Bass und Charlie Watts am Schlagzeug – zum Synonym für die rebellische Attitüde jener Ära. Songs wie “(I Can’t Get No) Satisfaction”, “Street Fighting Man”, “Sympathy For The Devil” und “Gimme Shelter” spiegeln die Gewalttätigkeit, Frustration und das Chaos jener Jahre wider. Für die Stones waren die Sixties keine Epoche von Love & Peace – in vielerlei Hinsicht fand die Band diese psychedelischen und blauäugig utopischen Ansätze wirr und albern. Die Stones waren schon immer – und sind es auch heute noch – Pragmatiker. Auf die haltlosen Versprechungen des Sixties-Idealismus antworteten die Stones mit “You Can’t Always Get What You Want”. Was heißt schon “Let It Be”? Warum nicht gleich “Let It Bleed”?

So entwickelten sich die Rolling Stones in der Übergangsphase der 60er zu den 70ern zu einer kreativen Kraft, die in der Welt der Popmusik ihresgleichen sucht. “Beggars Banquet” (1968), “Let It Bleed” (1969), “Sticky Fingers” (1971) und “Exile On Main Street” (1972) tauchen nach wie vor in den Hitlisten der besten Alben aller Zeiten auf, und zwar verdientermaßen. Allesamt wurden diese Alben mit dem amerikanischen Produzenten Jimmy Miller eingespielt – “an incredible rhythm-man”, wie Richards ihn knapp beschreibt. Diese Alben vibrieren nicht minder wie die Kultur jener Zeit zu vibrieren schien.

Während der Arbeiten an “Let It Bleed” starb Brian Jones. Er wurde durch Mick Taylor ersetzt, einen Gitarristen, dessen lyrisches und melodiöses Spiel zu dem nachdrücklichen und intensiven Drive von Richards' Gitarrenspiel ein gutes Gegengewicht bildete. Für den Sound der Band war dies eine zusätzliche Bereicherung und öffnete den Weg in neue musikalische Richtungen.

Von nun an waren die Stones eine nicht zu bändigende Macht, und das sind sie bis zum heutigen Tag geblieben. Das Album “Some Girls” (1978) stellte sich den neuen Herausforderungen der Punkbewegung (“When The Whip Comes Down”), deren Energie und Attitüden die Stones schon zehn Jahre zuvor definiert hatten, doch das Album hatte mit “Miss You” auch Stücke, die den sinnlichen Groove der Discomusik adaptierten. Es ist noch heute eines der besten Alben jener Dekade. 1975 war Ron Wood als Ersatz für Mick Taylor zu der Band gestoßen und avancierte zu einer weiteren Schlüsselfigur der Rolling Stones, die nunmehr seit 30 Jahren umtriebig sind, ohne dass ein Ende in Sicht wäre.

“Tattoo You” (1981) fügte dem riesigen Repertoire der Stones die Klassiker “Start Me Up” und “Waiting On A Friend” hinzu und nimmt einen wichtigen Platz ein in der Liste der faszinierendsten und populärsten späteren Alben der Stones. “Dirty Work” (1986), möglicherweise das am meisten unterschätzte Album in der Karriere der Band, zeigte sie ungeschliffen und rhythmusgetrieben; in dem Album reflektieren sich auch die Unruhen, in denen die Band sich während der Aufnahmen befand. Wahre Stones-Fans betrachten es längst als Ehrensache, gerade für dieses Werk ihre besondere Wertschätzung zu bekunden.

Mit der Veröffentlichung von “Steel Wheels” (1989) gingen die Rolling Stones nach sieben Jahren zum ersten Mal wieder auf Tournee und eröffneten die bis dato letzte Phase ihrer schillernden Karriere. In dieser Zeit haben sie ebenso starke wie glaubwürdige Alben veröffentlicht – “Voodoo Lounge” (1994) und “Bridges To Babylon” (1997) – sowie das exzellente Livealbum “Stripped” (1995) und “Forty Licks” (2002), die äußerst gelungene und höchst amüsante Anthologie ihrer größten Hits.

Wichtiger jedoch ist, dass die Stones in dieser Zeit einen neuen Standard für gelungene Bühnenperformance gesetzt haben. Eine Errungenschaft, die durchaus in der Tradition der Band steht. Als die Stones während ihrer 1969er Tour als “beste Rock’n'Roll Band der Welt” angekündigt wurden, nahmen sie diesen Titel eben wegen ihrer unglaublichen Bühnenpräsenz in Anspruch. In jener Zeit war es schon fast zur Mode geworden, als Band nicht auf Tournee zu gehen, wie es etwa die Beatles und Bob Dylan taten. Aber die Stones hatten sich vorgenommen, zu beweisen, dass man tolle Songs schreiben und große Alben produzieren konnte, ohne sich zu schade zu sein, vor seinen Fans aufzutreten und zu rocken, bis allen die Knochen klappern. Die Stones hatten sich in frühen Jahren einen Ruf für ihre Shows erworben – gekrönt natürlich durch die faszinierend erotische Bühnenchoreographie von Mick Jagger – diesen Ruf galt es in den 90ern wieder unter Beweis zu stellen.

Nun sind fast 20 Jahre vergangen, und die Bühnenshows der Stones haben nichts an Faszination verloren. Seit 1989 sind die Stones regelmäßig alle paar Jahre auf Tour gegangen, und die Fans reagieren jedes Mal neu verzückt. 1994 verpflichteten die Stones als Ersatz für Bill Wyman den Bassisten Darryl Jones, der vorher bei Miles Davis gespielt hatte. Der Personalwechsel erwies sich als willkommene Verjüngungskur und brachte neue Energie. Die Konzerterfolge der Stones bemessen sich in diesen Jahren nicht an Einnahme- und Zuschauerrekorden, obwohl die Zahlen schon beeindruckend sind. Es ging eher darum, zu beweisen, dass die Stones nach wie vor eine bis in die Haarspitzen vitale Liveband sind und dass es ihrer Meinung nach genau das ist, was eine Band zusammenhält: It’s only rock’n'roll but I like it.

In den vergangenen 40 Jahren kam bei jeder Tour der Stones die Frage auf, ob dies nun die letzte Tournee sein werde. Hier scheint ein fundamentales Missverständnis vorzuliegen. Es stimmt, dass die Rolling Stones über die Jahre immer wieder wegen vieler Geschichten Schlagzeilen machten, die nichts mit ihrer Musik zu tun hatten – Verhaftungen, provokante Äußerungen, Scheidungen, Affären, was so anfällt wenn man ein bewegtes Leben führt und stets im Blickpunkt der Öffentlichkeit ist. Zumal Mick Jagger zweifellos eine der bekanntesten Celebrities überhaupt ist.

Aber nichtsdestotrotz sind die Stones in erster Linie Musiker, und als solche haben sie sich auch stets verstanden – vielleicht ist das der Grund, warum sie einen so ausgesprochen langen Atem haben. Trotz aller Schlagzeilen in den Hochglanzblättern ist Mick Jagger eben eine der außergewöhnlichsten Galionsfiguren des Rock’n'Roll und der wohl mitreißendste Performer, gleich welchen Genres, der je auf der Bühne gestanden hat. Keith Richards ist der treibende Motor der Stones und sorgt dafür, dass ihre Musik unverkennbar bleibt. Ron Wood hat als Gitarrist eine rhythmische Blutsbrüderschaft mit Richards geschlossen, zugleich jedoch bringt er mit seinen Melodien Farbe und Textur in die Songs der Band. Charlie Watts, das braucht man eigentlich kaum zu erwähnen, ist einfach einer der besten Rockschlagzeuger schlechthin. Er ist für die Band sowohl Fels in der Brandung als auch die Macht, die für den Wellengang sorgt. In ihrer Schlichtheit sind seine Gesten elegant und zugleich haben sie einen alles durchdringenden Einfluss – hier ist keine Bewegung überflüssig. Er und Darryl Jones verleihen der oft monolithischen Vorstellung einer Rhythmusgruppe im Rock’n'Roll den unwiderstehlichen, unprätentiösen und an Jazz gemahnenden Feinsinn.

Musiker leben und arbeiten für den Moment, und das ist der Grund, warum die Fans die Rolling Stones nach wie vor live sehen wollen. Natürlich haben sie ein Repertoire an großartigen Songs, mit dem nur eine Hand voll anderer Künstler aufwarten kann. Sicherlich möchte man auch die Band sehen, die das, was wir heute unter Rock’n'Roll verstehen, entscheidend beeinflusst hat. Vor allem aber heißt die Rolling Stones live sehen, eine wirklich hart arbeitende Band zu sehen, für die ein letztes Mal noch in unerreichbarer Ferne zu liegen scheint.

Anthony de Curtis

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