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Sido – Biografie 2009

091030 - Sido
26.10.2009

sido – Aggro Berlin – Deutschland – eine Geschichte.

1992 als wir aus Lübeck wieder in den Wedding zurück kommen wird es ein bisschen eklig. Die Leute hauen mich. Ich werde ziemlich gut im Backpfeifen verteilen und einstecken. Ich werde witzig. Das hilft mir bei den Weibern, aber klappt auch nicht immer. Aber witzig sein ist schon mal ganz gut. Witzig sein ist eine Kunst. Die Lehrer sagen, dass ich ein Clown bin. Ich scheiße auf die Lehrer. Die Lehrer sind Opfers. 
Irgendwo in Berlin gibt es so einen Laden, wo die Leute so Freestylesessions machen. Bobby hat davon erzählt. Und Collins. Bobby, Collins und ein Typ, der sich Kimba nennt haben jetzt eine Gruppe. Die Sekte. Die wollen so richtig rappen. Ich will auch rappen. Ich habe auch schon Texte geschrieben und wir gehen in diesen Keller. Es stinkt ziemlich und da sind ein paar Leute da. Später werden ein paar von ihnen ziemlich berühmt werden. Taktloss, Savas, die Masters Of Rap, B-Tight und ich. Ich werde der berühmteste von allen werden. Der Mann mit der Maske. Das weiß ich damals noch nicht. Ich habe es gehofft, aber im Winter 1997 hätte das keiner geglaubt. Niemals.
Als ich meinen ersten Döner esse, glaube ich, dass ich im Himmel bin. Das lag wohl an den Emulgatoren, aber trotzdem. Ich habe gedacht, dass ich noch nie etwas Besseres gegessen habe. Damals 1989. Im Sommer.
Er hat wieder gesoffen. Mein Stiefvater ist so ein Typ, der immer aggressiv wird, wenn er säuft. Ich werde lustig, wenn ich betrunken bin. Doreen sagt dann immer „Du bist soooo süß“. Das gefällt mir. Mein Stiefvater hat sich dann verpisst irgendwann. Nach Asylantenheim, Lübeck, Wedding und MV war dann der Druck nicht mehr groß genug. Dann ist die rosarote Brille abgefallen und sie haben sich wieder getrennt. War auch egal. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann er gegangen ist. Er war einfach irgendwann mal weg.
Die Erzieherin hat eine Kittelschürze an. So mit Blumenmuster. Sie geht mir auf die Nerven. Ich habe mein blaues Halstuch nicht korrekt gebunden und mein Hemd nicht richtig geknöpft. Jetzt gibt es wieder Schimpfe. Ich mache Faxen. Kleine Jungen Faxen. Ich bin gerade 6 geworden und ich finde das alles blöd. Richtig blöd. Die Erzieherin findet mich blöd und lässt Mama antanzen. Die ist auch genervt. Schon wieder auffällig. Reicht doch, wenn der Typ von gegenüber bei uns im Haus immer genau aufpasst. Der weiß immer, was los ist. Der weiß viel zu genau, was los ist. Liegt vielleicht an der Hautfarbe von Mama. Bei der schlagen die indischen Sintis noch richtig durch. Bei Opa auch. Ich bin Jungpionier mit einem weißen Hemd und einem blauen Halstuch und bei mir sieht man nix. Aber die Erzieherinnen haben mich trotzdem auf dem Kieker. Das wird im Westen nicht anders sein. Weiß ich jetzt. Aber damals dachten wir, dass wir da weg müssen. Raus!
Mama hat immer gearbeitet. Sie hat uns immer versorgt. Sie hat das einfach gemacht. Mama war immer da und auch heute noch gehe ich zu ihr, wenn ich Probleme habe. Sie holt mich wieder runter. Auf den Teppich. Da wo ich hingehöre. Sie liebt mich sehr und ich sie auch. Sie hat mir das Gewinnergen eingepflanzt, wenn es so was gibt. Es gab immer nur sie und uns. Die Kinder. Das war nie anders, selbst als mein Stiefvater da war. Es gab eigentlich immer nur Mama und uns.
2001 lernen wir Specter kennen. Specter ist ein bekannter Sprüher und er feiert unsere Musik.
Specter ist voll auf dem Franzosenfilm, weil er ein paar Jahre in Frankreich gelebt hat und er findet, dass wir genau so klingen wie die Französischen Rapper aus der Banlieu. Wir treffen uns mit ihm. Specter hat große Visionen. Ich auch. Vielleicht liegt es auch ein bisschen an den Drogen, aber wir wollen beide hoch hinaus und ich weiß: Wir können das schaffen. Alle Schläge die ich bekommen habe. Jedes Mal, wenn sie mich verarscht haben diese Penner. Für das Asylantenheim und die dummen Anmachen. Das werden sie alles zurück bekommen, doppelt und dreifach. Ich mach sie fertig, diese Opfer. Diese Lehrer. Diese Eierköpfe, die mir gesagt haben, dass aus mir nie was wird. Die mach ich kalt. Ich schreie und Specter schreit auch und wir klatschen uns ab und ich weiß, dass wir es schaffen werden, ganz nach oben.
Was ich noch nicht weiß, ist dass ich eines Morgens im April 2009 meinen Computer anmache und erfahre, dass es das Label AGGRO Berlin nicht mehr gibt. Wir haben das zusammen aufgebaut und wir haben das durchgezogen. Jetzt ist es vorbei und was ich damals auch noch nicht wusste ist, wie weh mir das irgendwann mal tun würde. Jetzt weiß ich es. 
Ich muss es ihm sagen, denn schließlich ist er mein bester Freund. Bobby, würde ich sagen, Bobby, ich muss dir was gestehen. Ich bin aus dem Osten. Ich bin in Ostberlin geboren. Ja wir haben zwar immer Westberlin, Westberlin geschrien. Ich bin trotzdem aus dem Osten.
Es ist Herbst 2009. Ich bin noch mal in Amerika. Diesmal mache ich Urlaub. In Deutschland ist es kalt, aber es soll noch einen sehr schönen Spätsommer geben. Eigentlich mag ich die Amis nicht. Das sind alles Opfers. Die respektieren uns nicht. Wir sind ja NUR aus Germany, wenn es um Rap geht. Aber dafür kann das Land ja nichts. Und das Essen. Der gute Dollarkurs. Heute Morgen hieß es, dass der Dollar als Leitwährung vielleicht abgelöst werden soll. Sollen sie machen. Interessiert mich nicht. Ich kann hier schön einkaufen. Das gefällt mir.
Am Sonntag ist Wahl in Deutschland. Ich gehe hin. Mama hat gesagt, wenn ich es nicht für mich mache, dann wenigstens für mein Kind. Was Mama sagt, wird gemacht. Sie hat recht. Sie hat viel erlebt. Ich auch.
Es ist der 23. September 2009. Es 6:34 Uhr L.A Time. In Berlin ist es halb vier am Nachmittag. Ich bin sido. Alles ist eins. Aggro Berlin!
 

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