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The Kooks, “Listen”, 2014

The Kooks 2017
03.09.2014
“Das Wort sieht gut aus und es hört sich auch schön an”, meint Luke Pritchard. „Mir gefällt, dass es so rund und einfach ist.“ Das Wort, das der Kooks-Sänger derart anpreist, heißt „Listen“ und ist zufällig auch der Name des neuen Albums der Band. Lukes Beweggründe für die Wahl dieses Titels offenbaren sich, sobald man anfängt, sich das Album anzuhören, und ebenso, wenn er von seiner Entstehung erzählt und von den persönlichen und emotionalen Wandlungen, die er währenddessen durchlebt hat. „Für mich“, so Luke weiter, „geht es bei dem Album um unverfälschten Ausdruck. Selbst die Art und Weise, wie es entstanden ist, hat sich frisch angefühlt. Wir waren nicht einfach eine Band in einem Raum, die Gitarre spielt und dann den Gesang drüberlegt, wie wir es vorher immer gemacht hatten. Wir haben wirklich auf das gehört, was um uns herum passierte und so sind neue Ideen entstanden. Das Ganze war viel natürlicher.“
 
Den Startschuss zu Listen gab der Song „Around Town“, dessen Grundgerüst Luke in seiner Londoner Wohnung schrieb. Das Thema des Songs ist boshaft, die Melodie ohrwurmverdächtig und prägnant – verglichen mit dem bisherigen Material der Kooks eine ganz neue Richtung. „Ich hatte angefangen, sehr viel Soul und Afrobeat zu hören“, erklärt Luke. „Ich weiß noch, wie ich „Around Town“ schrieb und dachte, ‚Hm, ok, das ist interessant‘. Alles andere, das ganze Album, hat sich aus diesem einen Song heraus ergeben. Dabei sollte es eigentlich nur ein Experiment sein, ich hatte es gar nicht als Song für die Kooks geplant. Aber auf einmal gab er die Richtung vor. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, dann war ich wohl auf einer Art Mission. Ich war ungefähr zehn Monate lang überall in den Staaten unterwegs gewesen und hatte mit verschiedenen Leuten zusammengearbeitet. Vorher hatte ich immer nur alleine oder mit den Jungs geschrieben, da hatte ich am Anfang schon meine Bedenken. Aber ich wollte mich auch ein bisschen öffnen. Meine Einstellung war zu negativ, ich wusste, dass ich das ändern muss, dass ich wieder zu dem werden musste, was ich eigentlich bin – ein Songwriter.“
 
Lukes wichtigster Verbündeter bei diesem Unternehmen war der Produzent Inflo, der ihm dabei half, als Songwriter noch viel weiter zu gehen als vorher. Das eindrucksvollste und bewegendste Beispiel dafür auf Listen ist das ergreifende „See Me Now“, in dem sich Luke an seinen Vater wendet, der starb, als er noch ein kleines Kind war. „Da war es wirklich so, dass Inflo mir einen Song, ein Gefühl aus den Rippen geleiert hat“, sagt Luke. „Wir sprachen darüber und er meinte einfach: ‚Schreib einen Brief an deinen Dad‘. Bei vielen Texten hätte ich mich vorher einfach nicht getraut, sie zu verwenden. Aber er sagte ‚Mach das, sie sind wunderschön‘. Das fand ich total entwaffnend, seine Einstellung war: ‚Darum geht es doch bei Musik, seinen Schutzschild herunterzunehmen‘. Dafür ist der Song das beste Beispiel.“
 
Die Zusammenarbeit mit einem Produzenten, der aus dem Bereich Hip-Hop und Dance kommt, erschien einigen Leuten im Umfeld der Kooks als Risiko, gibt Luke zu. „Ich hatte seine Musik gehört und dann erwähnte ihn jemand, als wir die Vorgehensweise für das neue Album diskutierten. Ich glaube, viele haben gedacht, das wird nichts, aber ich wollte ihn unbedingt treffen. Mir gefiel der Sound seiner Platten, sie waren so wahnsinnig klar, sie waren modern und hatten trotzdem so ein Oldschool-Feeling dahinter.“ Luke ließ sich nicht beirren und sein Bauchgefühl stellte sich als richtig heraus. „Als wir uns trafen, fühlte es sich sofort richtig an. Wir kamen zwar oberflächlich betrachtet aus ganz verschiedenen Ecken, aber ich kannte seine Cousine, Leona Lewis. Wir sind zusammen zur Schule gegangen, haben schon zusammen Songs geschrieben und diese Art Musik gemacht. So gesehen war es also fast eine Rückkehr. ‚Around Town‘ hatte ich schon und alles andere holte er dann aus mir raus. Er verstand, wie ich drauf war. Wir hatten einen guten Draht zueinander.“
 
Beweise für diesen guten Draht sind überall auf Listen zu finden. Die erste Single „Down“ war mit ihrer Stakkatogitarre, ihrem Call-and-Response-Gesang, der akzentuierenden Cowbell, den Falsettharmonien und ihren selbsterkennenden, trotzigen Lyrics („You can’t break a man who’s already down“) ein Befreiungsschlag, ein echter Verpiss-dich-Song mit einer Ohrwurmmelodie, die sich im Kopf festsetzt und noch lange dort bleibt. „Around Town“, das so zentral und wichtig für das Album ist, schwingt sich auf einer fröhlichen Welle Gospelgesang heran und Luke gesteht: „I need someone to love me when the chips are down“. „Around Town“ ist reduziert und locker, mit einem freimütigen und unerschrockenem Text, es wirkt wie ein musikalisches Manifest, wie der Leitspruch einer Band, die wiederentdeckt hat, was sie ursprünglich einmal, vor zehn langen Jahren in Brighton, am Musikmachen begeistert hat. Dabei war nicht immer alles eitel Sonnenschein, wie Luke erzählt. „In dem Jahr, bevor wir das Album gemacht haben, habe ich echt heftige Sachen erlebt, so niedergeschlagen war ich noch nie. Ich steckte in einer sehr gestörten Beziehung, mein Leben war ziemlich leer. Songs wie „Down“ und „Around Town“reflektieren dieses Gefühl, so wie fast das ganze Album. Mit der Band lief es auch nicht so gut; wir hatten zwar Erfolg, aber intern gab es echt Probleme. Das mussten wir unbedingt überwinden und da hat uns tatsächlich die Musik gerettet.“
 
Jeder in der Band wusste, dass sich etwas ändern musste, sagt Luke. Also warf man das alte Denken („das Zu-viel-Denken“, lacht Luke) und die alte Arbeitsweise beim Aufnehmen über Bord. „Ich habe mich völlig von Akkorden gelöst. Wir waren förmlich besessen von Notenfolgen. Wenn man sich Platten von den Stones anhört, merkt man, wie genial das Wechselspiel zwischen ihnen ist. Da gibt es auch ein paar Akkorde, aber viel wichtiger sind die vielschichtigen Gitarrenmelodien. Flo hat uns das Selbstbewusstsein gegeben, unseren Ansatz zu ändern. Das ist gar nicht so einfach im Studio, weil da die Versuchung immer groß ist, zu sagen: ‚Alles klar, ich spiele hier meinen Teil und du deinen‘. Bei dieser Platte haben wir vorher nichts geprobt. Ich habe die Songs einfach mit Flo oder alleine geschrieben, sie vorgestellt und dann haben wir alle dazu gespielt. Der Prozess hatte also viel Freiheit.“
 
Freiheit ist sicher das richtige Wort für „Are We Electric?“, das von einer minimalistischen Strophe mit süßem Soul-Funk-Groove in einen herrlichen, freudestrahlenden Refrain übergeht. Der Song ist eine der vielen Überraschungen auf Listen, und seine Wärme und entspannte Atmosphäre lassen sich auch in „Forgive & Forget“ wiederfinden, einem Track mit einem Riff, das wohl jedem Gitarristen gern eingefallen wäre, und einem Händeklatschen, das zum Tanzen animiert. Man sieht ein paar Kumpels und Hallodris vor sich, die im Cabrio einen kalifornischen Highway entlangdüsen und sich am Leben berauschen. Mit „London“ liefert die Band ihre Version von „Street Fighting Man“ des 21. Jahrhunderts; darauf widmet sich Luke der von Aufständen geplagten Stadt, begleitet von einem weiteren Megariff. „Dreams“ ist ähnlich minimalistisch, eine leicht verschlafene Ode an das Land der Träume, das jeder im Schlaf besucht.
 
In Listen einzutauchen ist für den Hörer ebenso befreiend, wie die Arbeit daran für die Band gewesen ist – für Luke genau die angestrebte Wirkung. „Wir haben endlich wieder Musik gemacht, weil wir es lieben. Ich hatte gerade das schwierigste Jahr meines Lebens hinter mir, da hat es sich angefühlt, als würde ich die Fesseln loswerden. Es ist gut, wenn man sich von der ganzen Scheiße um einen herum befreien kann. Die Stimmung innerhalb der Band war jahrelang ziemlich krass. Aber jetzt ist es toll. Ich habe mich noch nie so wohl gefühlt. Es kommt mir vor, als hätten wir unseren Frieden gefunden.“
 
Er sei so stolz auf das Album, erzählt Luke, dass er jetzt vor allem darauf achten müsse, sich nicht zu sehr darüber auszulassen. „Ich bin mir der Gefahr bewusst, zu überzeugt davon zu wirken, weil ich es einfach für das Großartigste überhaupt halte. Das ist immer so, wenn man ein neues Album aufgenommen hat. Aber ich muss mich da im Zaum halten – ich will ja nicht einen auf Kanye West machen.“ Sollte sich Luke Pritchard nicht an sein Schweigegelübde halten können, so würde man es ihm sicher verzeihen. Denn The Kooks haben tatsächlich das Album ihres Lebens abgeliefert.

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