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SINGEN mit Thomas Quasthoff

Thomas Quasthoff Haydn
Jim Rakete
30.11.2008
Thomas Quasthoff im Interview mit Axel Brügemann über seine musikalischen Erfahrungen in der Kindheit, die musikalische Ausbildung heute und die Aufnahmen seines Kinderklassik Albums:
AB: Thomas, Du hast selbst ein Kind – glaubst Du, dass genug für die musikalische Ausbildung der Kinder getan wird?
Thomas Quasthoff: Defintiv: Nein! Ich sehe das bei meiner Tochter. Bei ihr steht zwar Musik auf dem Stundenplan, aber der Unterricht wird schon lange nicht mehr von ausgebildeten Musiklehrern gegeben, sondern er wird mehr oder weniger laienhaft von anderen Lehrkräften übernommen. Ich finde, dass allein dieser persönliche Blick sehr viel über die Rolle der Musikerziehung in Deutschland sagt. Und ich denke an die verheerenden Folgen: Wir entziehen uns dadurch für die nächsten Generationen sowohl das Publikum als auch die Musiker in denOrchestern.
AB: Viele Klassik-Künstler nehmen sich der Sache inzwischen selbst an. Was könnt Ihr anders machen als die Schulen?
Thomas Quasthoff: Ich glaube, dass die Ausbildung an vielen Schulen veraltet ist. Es kann nicht mehr darum gehen, den Kindern irgendetwas in den Kopf zu hämmern, sondern es muss viel mehr darum gehen, Sinnzusammenhänge herzustellen. Ich muss bei einem Gedicht von Goethe auch wissen, aus welcher Zeit er es geschrieben hat, wie die politische Situation in der Romantik war. Das gilt übrigens auch für die Naturwissenschaft. Wenn wir auf das abrufbare Wissen setzten, erziehen wir höchstens noch gute Trivial-Pursuit-Spieler, aber keine ganzheitlich denkenden Menschen. Ich glaube, dass das Konzept des “Kleinen Hörsaals” genau dort ansetzt: Er öffnet Assoziationen.
AB: Du sprichst mit den Kindern über “Die Schöne Müllerin” – normalerweise wird die “Zauberflöte” oder “Hänsel und Gretel” für Kinder empfohlen, aber kein Liederzyklus um Liebe und Tod.
Thomas Quasthoff: Aber schau Dir doch die Märchen an. Die sind alles andere als harmlos. Die meisten sind nach dem Schema von gut und böse aufgebaut, und böse bedeutet auch böse: da werden Hexen in Öfen geschoben, Pferdeköpfe abgehackt und so weiter. Oder Harry Potter – da geht es auch nicht zu wie auf einem Kinderbauernhof. Nein, ich habe im Gespräch mit den Kindern gemerkt, dass sie eigentlich viel freier mit Themen wie Liebe und Tod umgehen können als wir. Der “Kleine Hörsaal” beweist doch, dass Konzepte, die erfunden werden, um die Kinder in ernsthafte Gespräch zu bringen, den Kindern viel besser gefallen als irgendwelche pädagogischen Konzepte, mit denen sich Erwachsene an die Kinder heranschleimen wollen.
AB: Wie hast Du die Begegnung mit den Kindern empfunden?
Thomas Quasthoff: Die Kinder haben einen unglaublichen Respekt vor der Kunst und vor der Musik, aber sie legen diesen Respekt auch schnell ab und sorgen dafür, dass wir als Künstler nicht auf einem hohen Podest stehen bleiben können. Am spannendsten waren die Gespräche immer dann, wenn wir über unsere Gefühle gesprochen haben, die wir in der Musik hören. Dann begreifen wir alle nämlich das Wichtigste in der Musik, dass sie immer auch von uns handelt, von Kindern und Erwachsenen – von Menschen.

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