Chefket | News | Chefket, "Nachtmensch", 2015

Chefket, “Nachtmensch”, 2015

Chefket - Pressefoto I - 2018
22.06.2015
Die Frage ist ja: Warum, um alles in der Welt, ist Chefket eigentlich noch kein Star? Der 32-jährige hat als mitreißender Live-Support für Größen wie Marteria oder Jan Delay vor tausenden von Menschen in Clubs und auf Festivals eröffnet und ist als Sprachbotschafter des Goethe-Instituts durch die Weltgeschichte gereist. Er hat bereits Alben, EPs und Mix Tapes veröffentlicht und sein Können durch unzählige Zusammenarbeiten mit dem who is who des deutschen Hip-Hop unter Beweis gestellt – und trotz allem wird Chefket immer noch als Newcomer gehandelt. Etwas, das sich mit seinem neuen Album “Nachtmensch” ändern wird.
Aber der Reihe nach: Geboren wird Şevket Dirican, wie Chefket mit bürgerlichem Namen heißt, 1981 als Sohn türkischer Zuwanderer in Heidenheim an der Brenz. Şevket geht zur Schule, er fährt Skateboard und hängt rum – was man halt in einem Städtchen mit gut 40.000 Einwohnern so macht. Aber dann bringt seine Schwester “It Was Written”, das zweite Album der New Yorker MC-Legende Nas, mit nach Hause. Begeistert von Beats und Texten, beginnt Şevket sofort selbst mit dem Musikmachen, nennt sich fortan Chefket – eine vereinfachte Abwandlung seines Vornamens, der im Deutschen so viel wie “exzellent” bedeutet – und gründet wenig später mit Klassenkameraden seine erste Band Nil.

Aber der Applaus von Schulfreunden reicht irgendwann nicht mehr. Er will wissen, ob diese Kunst, in die er sein ganzes Herzblut steckt, wirklich gut ist und Leute erreichen kann. Also zieht er 2004 von jetzt auf gleich nach Berlin. "Ich kannte niemanden in Berlin, geschweige denn die Stadt. Also habe ich bei Google die Wörter “HipHop”, “Party” und “Berlin” eingegeben und an der Tür meinen Charme spielen lassen", erinnert sich Chefket, der aber nicht nur in die Clubs, sondern auf die Bühnen will.

Was ihm dabei hilft, ist – wie schon in Heidenheim – das Selbermachen. Er sucht sich erst einen DJ, dann eine Autobatterie an die sie Mikrofon und Plattenspieler anschließen. Anschließend spielt das Duo sich von einer Straßenecke zur nächsten bis die Polizei kommt. Aber aufhören? Niemals. Chefket probiert sich auch als Poetry Slammer und textet, singt und rappt vor jedem Mikrofon Berlins. Die Gagen sind überschaubar, bestehen oft sogar nur aus Getränkemarken. An Miete zahlen ist in der Zeit nicht zu denken. Manchmal bleibt Chefket bis zum Morgengrauen in den Clubs – und kommt dann doch noch bei irgendeinem seiner zahllosen Freunde unter. Denn mittlerweile ist Chefket in der Stadt bekannt wie ein bunter Hund.
Auch, weil er 2008 deutscher Gewinner des “End of the Week”-Freestyle-Battles wird und bei den anschließenden Weltmeister­schaften im Februar 2009 in London den zweiten Platz macht. Noch im selben Jahr demonstriert Chefket mit seinem Debütalbum “Einerseits Andererseits” eine enorme musikalische Vielfalt, die sich aus Rap und Gesang genau so wie aus Blues und Soul zusammensetzt. Das Album ist nur ein Achtungserfolg, aber bringt mit sich, das Chefket noch im selben Jahr als erster Rapper die “FritzNacht der Talente” gewinnt und der Titelsong Platte eine Weile täglich im Radio läuft.

Dann fragt plötzlich niemand Geringeres als Marteria an, ob Chefket nicht Lust hätte, ihn auf Tour zu begleiten. Es folgen Auftritte als Support von Samy Deluxe, Jan Delay und Tech N9ne. Bald schon eilt Chefket ein Ruf als begnadeter Live-Performer voraus. 2013 veröffentlicht er die EP “Identitaeter”, auf der er getreu dem Titel seine kulturelle Identität reflektiert, während das kurz darauf veröffentlichte Mix Tape “Guter Tag” eher durch Sorglosigkeit besticht. Beide Themenschwerpunkte sucht man auf Chefkets neuem Album “Nachtmensch” vergebens. Seinen unverkennbaren Stil, der Rap und Gesang mit musikalischen Spielarten jedweder Couleur vermengt und es ihm so erlaubt, ernsthafte und augenzwinkernde Anliegen gleichermaßen zu formulieren, hat Chefket jedoch beibehalten und perfektioniert.

“Nachtmensch” ist in den letzten anderthalb Jahren in enger Zusammenarbeit mit Farhot entstanden. Der Produzent aus Hamburg, welcher schon Nneka, Megaloh, Talib Kweli, Haftbefehl und auch Chefket in der Vergangenheit mit seinem ganz eigenen Sound zwischen Vintage-Klang, HipHop-Spielarten und Pop-Bekenntnissen versorgt hat. Nach ersten gemeinsamen Studio-Sessions beschlossen die beiden Freigeister, der Routine zu entfliehen. Bei gemeinsamen Reisen nach Dänemark, Marokko und die türkische Metropole Istanbul reifte Abseits vom schnelllebigen Alltag nach und nach das Soundbild von “Nachtmensch”. “Farhot ist der erste, der meine Vision verstanden hat”, freut sich Chefket über die fruchtbare Zusammenarbeit. “Er hat mir Inspiration in Form von Beats gegeben, stand mir aber auch beratend zur Seite und wir haben im Laufe der Produktion ein beinahe brüderliches Verhältnis entwickelt.”

Herausgekommen sind zwölf stimmige Songs, die nicht nur durch pointierten Alltagsbeobachtungen bestechen, sondern sich – getreu dem Titel – auch mit der Nacht in allen ihren Facetten auseinandersetzen. “Die Stadt ist bei Nacht so schön ruhig und man kann sich ein wenig von der Hektik des Tags erholen”, erklärt Chefket. “Dann kommen mir die besten Ideen. Nicht nur für Texte, sondern generell.” Wenn Chefket also in “Tanz” über hedonistischen Eskapismus in die Feierei rappt, dann denkt er gleich auch die Gründe für diese Flucht aus der Wohlstandsgesellschaft mit. Und wenn Chefket sich die “Vernichtung” der Menschheit wünscht, dann nur zum Wohle des Planeten.
“Nachtmensch” zeigte alle Facetten von Chefket. Er rappt übers Ausgehen, singt von der Liebe, gibt den Vollblut-Rapper genau so wie den gefühligen Crooner und das charmante Schlitzohr. Allesamt Attribute, die ihm in den letzten Jahren einen Ruf als begnadeter Entertainer eingebracht und Chefket zu einem Live-Geheimtipp erster Güte haben werden lassen. Denn sich auf eine Bühne stellen können viele, sie mit Leben füllen, nur wenige. Und die Frage, warum Chefket eigentlich noch kein Star ist, hat sich mit diesem großartigen Album “Nachtmensch” auch erledigt.

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