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Der Siegeszug der Neoklassik

Neoklassik
© Sodanie Chea/flickr
17.08.2016
Der vierte und vorerst letzte Teil der Serie “Neoklassik” berichtet über die aktuelle Vielfalt und momentane Entwicklungen neuer klassischer Musik. 
Es gehört zum Wesen des Menschen, dass er die Schubladen schätzt: Oberbegriffe, Gattungsbezeichnungen und Epochengrenzen, die Ordnung bringen in die Mannigfaltigkeit des Lebens und in die vielfältigen Schattierungen der Kunst. Mit der “Neoklassik” ist in den letzten Jahren eine neue Schublade im musikalischen Schatzkästchen hinzugekommen, die dem Versuch entsprang, die zahlreichen und durchaus sehr unterschiedlichen Ansätze und Kompositionsstile einiger der derzeit aktiven Komponisten auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Und gleichwohl das Schubladendenken immer auch die Gefahr in sich trägt, die bunte Vielfalt matter erscheinen zu lassen, so finden sich mit Blick auf die Komponisten von James Horner bis Jóhann Jóhannsson bei aller Unterschiedlichkeit doch überzeugende Parallelen und Gemeinsamkeiten.

Eingängig, offen und unterhaltsam: Eine musikalische Strömung jenseits des Dogmatischen

Wer heute komponiert, tut dies nicht im luftleeren Raum. Er hat die Tradition reicher Jahrhunderte im Rücken, die immer feinere Ausarbeitung von Form und Melodie, die Gefühlsekstase der Spätromantik und das Aufbrechen der harmonischen Strukturen Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Neoklassiker knüpfen an diese Geschichte an und agieren dabei überaus undogmatisch. Fern starrer Regularien und frei in der Verbindung unterschiedlichster Stilmittel vereinen die Vertreter der Neoklassik die Tonsprache der Romantik mit jener der Popkultur, arbeiten mal mit traditionellen, mal mit elektronischen Klängen und treten mit der Musik nicht selten in Beziehung zu weiteren Kunst- und Unterhaltungsformen wie der Lyrik, dem Tanz oder dem Film. Dabei wird die Musik weniger als etwas elitär Separiertes praktiziert, sondern als klang- und gefühlvoller Teil des Lebens, der wirken und berühren darf, ohne als Kitsch abgetan zu werden. Dieses Verständnis spiegelt sich musikalisch in einer tendenziell eingängigen Kompositionsweise wider, die mit sanglichen Melodien und kreisenden Rhythmen ebenso arbeitet wie mit meditativen Grundmustern und den Hörer atmosphärisch dicht und schwelgerisch in den Bann zieht.

Von James Horner bis Max Richter: Die vielen Facetten der Neoklassik

Sie kommen aus verschiedensten Ländern, sind mal als Solist, mal als Arrangeur, mal als Bandmitglied aktiv und spielen mit elektronischen Klängen ebenso wie mit traditionellen klassischen Mustern. Die Menge jener Komponisten, die heute unter dem Begriff Neoklassik geführt wird, ist denkbar bunt und so repräsentieren die prominenten Vertreter in ihrer Heterogenität und Individualität eindrucksvoll die Vielseitigkeit der neuen Stilrichtung.
Einer der bekanntesten Neoklassiker ist der italienische Komponist Ludovico Einaudi, dessen Werk spätestens seit dem enormen Erfolg seiner Filmmusik für “Ziemlich beste Freunde” in aller Ohren ist. In seinen minimalistischen Meditationen am Klavier zeigt er sich deutlich inspiriert von Philip Glass und Arvo Pärt und schafft einen melancholisch warmen Sound. Ähnlich geläufig aber deutlich intensiver in der Instrumentierung ist das Werk des 2015 verstorbenen James Horner, der als Filmkomponist den Soundtrack zu Blockbustern wie “Titanic” und “Apollo 13” geschaffen hat und schließlich ein fulminantes Dopppelkonzert für Geige und Cello komponierte, das die emotionale Kraft der imaginierten Geschichte rein instrumental umsetzte. Mit Ólafur Arnalds und Jóhann Jóhannsson prägen zudem zwei Isländer die Neoklassik-Szene, die mit dichten musikalischen Stimmungsbildern und der Symbiose aus akustischen Instrumenten und Elektro-Sound faszinieren und ebenfalls beide auch als Filmkomponisten tätig sind.
Der britische Komponist Max Richter schließlich versteht seine Musik als Zusammenspiel von Klang, Gefühl und Farbe und schafft, häufig in der Verbindung aus Wort und Ton, eine packende und eindringliche Tonsprache, die vom Techno- bis zum Kammermusiksound reicht und elegant die Grenzen aufhebt.
So zeigt sich Schublade der Neoklassik bereits reich gefüllt und bleibt doch stets offen für Neues….

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