Mando Diao | News | Biografie: Ode To Ochrasy

Biografie: Ode To Ochrasy

Mando Diao - Aalita - 2014
18.08.2006
MANDO DIAO
“Ode To Ochrasy”

Mando Diao, die Dritte. Fünf Schweden für ein Hallelujah des Rock’n'Roll. Mit ungebremster Euphorie starten diese Himmelsstürmer ihre “Ode To Ochrasy” so furios als hätten sie Hummeln im Hintern. Man spürt sofort, dass die Leadsänger und Gitarristen Gustaf Norén und Björn Dixgård, Schlagzeuger Samuel Giers, Bassist Carl-Johan Fogelklou und Keyboarder Mats Björke noch kompakter und entfesselter spielen denn je. Allein die ersten drei Songs: Wahnsinn. Was für ein Auftakt. Helter-Skelter-Gitarren peitschen sich durch den grandiosen Opener “Welcome Home, Luc Robitaille”, der nach dem legendären kanadischen Eishockeyspieler benannt ist, der 20 Jahre lang die amerikanische NHL aufmischte, gleichwohl eher Reflektion über Glück und Unglück der Kindheit ist. Mit “Killer Kaczynski”, das seinen Namen dem Unabomber verdankt, bringen sie die Terrorangst unserer Zeit auf den Punkt und feuern zugleich Gitarrensalven ab wie die Cosa Nostra, unterstützt von zwei triumphal aufspielenden Bläsern, die vor Jericho zu stehen scheinen. Und wenn Mando Diao in “Long Before Rock’n'Roll”, der ersten Single des Albums, wie sturztrunken durch die Melodie taumeln und sich in einen Rausch steigern, als wollten sie im Hochgefühl dieses furiosen Gemischs aus Sixties-Rock’n'Roll und Gitarrenpolka Wodkagläser hinter sich werfen, dann sind erst zehn Minuten vergangen. Zehn Minuten, nach denen man gut und gerne schon schweißnass sein und das musikalische Paradies auf Erden spüren kann.

Mando Diao waren, kaum hatten sie Ende vorletzten Jahres ihr zweites Album “Hurricane Bar” im Kasten, unermüdlich auf Tournee. Fast achtzehn Monate lebten sie in Tourbussen, warteten auf Flughäfen, lungerten in heruntergekommenen Backstageräumen herum oder standen an irgendwelchen Bars, während die Bühnen, auf denen sie spielten, immer größer wurden. Der gute Ruf eilte ihnen stets voraus und den Begriff Mandomania prägten andere für diese Teufelskerle, deren Shows bei den Fans Sturzbäche von Endorphinen auslösen. Nach 137 Konzerten vor mehr als einer halben Million Fans in mehr als einem Dutzend europäischer Länder, in den USA und in Japan kehrten die Jungs aus dem provinziellen Borlänge, die sich mittlerweile in Stockholm niedergelassen haben, zurück in ihre Heimat. Inspiriert von ihren abenteuerlichen Reisen durch die Nacht entstanden die ersten Songideen und Anfang dieses Jahres nahm “Ode To Ochrasy” Farbe und Form an. “Ochrasy” ist der von der Band selbst erfundene Name für die frühen Morgenstunden nach ihren Auftritten, für die Aftershowpartys und die langen Nächte mit all ihren seltsamen Begegnungen. Eine Welt für sich, irgendwo zwischen Traum und Realität.

“'Ochrasy', der letzte Song des Albums, ist ein Fantasiename für diese halluzinatorische Welt, in die man gegen vier, fünf Uhr morgens eintritt”, so Björn Dixgård, “…eine Art utopischer Welt, in der alles passieren kann, in der alles erlaubt ist. Zum ersten Mal war es uns möglich, dieses besondere Gefühl in Worte zu fassen und mit unseren Texten das auszudrücken, was du dort empfindest.” Gustaf Norén ergänzt: “'Ode To Ochrasy' handelt von all dem, was uns in den letzten Jahren widerfahren ist. Die Clubs, in denen wir in den mitteleuropäischen Städten spielen, liegen häufig in Gegenden, die absolut vogelfrei erscheinen. Dort hängen die seltsamsten Typen herum. Wir scheinen diese schrägen Vögel magnetisch anzuziehen. Und wir lieben sie – es sind eher die normalen Typen, die dich verrückt machen. Die Stunden nach der Show gehören wirklich zu den besten. Entweder bekommen wir Backstage Besuch oder wir treffen nach dem Konzert ein paar bizarre Gestalten an der Bar. So gibt es halt eine Menge Referenzen an all diese merkwürdigen Menschen auf ‘Ode To Ochrasy’ – während wir gleichzeitig in Mando Diao sehr isoliert sind. Manchmal haben wir das Gefühl, wir wären ganz allein auf der Welt.”

Das Gefühl der Befremdlichkeit wird natürlich noch verstärkt, wenn man sich plötzlich in einer Situation befindet, wie Björn Dixgård sie hier beschreibt: “In Münster kam mal ein Typ zu uns und fragte, ob wir seinen Bart-Simpson-Slip sehen wollen. Er meinte, unsere Show wäre absolut fantastisch gewesen. Dann tauchten seine Freunde auf und wir erfuhren, dass er taub war.” Gustaf Norén fährt fort: “Es ist, als ob wir in einer Fantasiewelt leben – in den frühen Morgenstunden, in den Bars und im Tourbus. Dann beginnst du tagzuträumen und fragst dich, was für ein Leben du führst. Manchmal gibt es nichts Schlimmeres als auf Tournee zu sein. Du hast Probleme in deiner Beziehung, bist erkältet, steckst in einem kaltfeuchten Umkleideraum, du sitzt auf einem ekelhaften, versifften Sofa und bist eigentlich zu aufgekratzt, um auf die Bühne zu gehen. Aber du machst das trotzdem – schließlich glaubst du an die Euphorie von Rockmusik. ‘Amsterdam’ handelt von all dem. Fröhliche Songtexte gibt es auf diesem Album jedenfalls nicht.”

Tatsächlich beschreibt “Amsterdam” einen Trip durch die Nacht, wo man gar nicht wissen möchte, was der Protagonist dieses musikalisch so psychedelisch wie paranoid inszenierten Alptraums alles intus hatte. Tourstress hin, Tourstress her: Ende letzten Jahres gingen Mando Diao schlussendlich mit eben jener Euphorie ins Studio, für die sie auf und hinter der Bühne bekannt sind und mit der sie schon ihrem Rohdiamanten, dem Debütalbum “Bring ‘Em In” den rechten Schliff verpassten. Mando Diao haben von Anbeginn selbstbewusst das Erbe sämtlicher Rock’n’Roll-Bands der Sechziger angetreten und verstehen es, dieses Erbe überschwänglich und überzeugend unters Volk zu bringen. Um dieses Gefühl auch für das neue Album adäquat umzusetzen, engagierten sie als Produzenten eine schwedische Legende des Rock’n'Roll: Björn Olsson, Gitarrist und Mitbegründer von Union Carbide Productions und Soundtrack Of Our Lives, zwei Säulen der schwedischen Rockgeschichte, die die Stooges respektive die gesamte Klaviatur des psychedelischen Sixties-Rock verkörpern. Olsson, ein unberechenbarer Kauz, war anfangs noch voller Elan und führte Mando Diao auf den richtigen Weg, sprich, sich auf die Intuition zu verlassen, das Abenteuer zu suchen und sich nicht lange an Details aufzuhalten. Aber auch Olsson, bekannt für seine notorische Unzuverlässigkeit, hielt sich nicht so lange wie gedacht mit Mando Diao auf – und als er schließlich vorschlug, Direktiven per SMS an die Band zu schicken, nahm diese das Heft selbst in die Hand. “This album could have been produced by Björn Olsson” ist nun auf dem Innencover vermerkt, auch wenn einige Songs wie etwa die schillernde Ballade “The New Boy” seine Handschrift tragen.

Auch das Engagement von Owen Morris, seines Zeichens Produzent des epochalen Oasis-Albums “Definitely Maybe”, währte wegen anderweitiger Verpflichtungen nur kurz, fiel dafür mit den grandiosen Abmischungen der eingangs erwähnten Songs “Welcome Home, Luc Robitaille” und “Long Before Rock’n'Roll” umso eindrucksvoller aus. Aber auch in Eigenregie respektive mit Unterstützung des Co-Produzenten Patrik Heikinpieti liefen Mando Diao zu Hochform auf. Ihre skurrilen Geschichten und Erlebnisse haben sie in durchweg spannungsgeladene und munter abwechslungsreiche Songs gepackt wie etwa “Song For Aberdeen”, wo sie beherzt die guten Geister von Dylan und den Dexy’s Midnight Runners in einen Topf werfen, oder “Good Morning, Herr Horst”, eine höchst originelle Hybride aus Johnny Cash, den Kinks und einem Kasatschok. Bei allen Querverweisen auf die unendliche Geschichte des Rock’n'Roll haben Mando Diao längst ihre ganz eigene Signifikanz: Der manische Wechselgesang zwischen Björn und Gustaf gehört ebenso zu den typischen Merkmalen der Band wie die Dramaturgie von Songs wie “The Wildfire (If It Was True)”, “You Don’t Understand Me”, “Tony Zoulias (Lustful Life)” und “TV & Me”. Kleine amüsante Intermezzi und hinreißende Arrangements vervollkommnen “Ode To Ochrasy” zu dem bis dato perfektesten Album von Mando Diao. Den Spirit ihrer fulminanten Konzerte haben sie gekonnt ins Studio gerettet und aus der fremden und seltsamen Welt ihres Rock’n'Roll-Lebensstils mit “Ode To Ochrasy” ein monumentales Meisterstück geschaffen. Ein kunterbuntes Wunderwerk, das sich in dem dunkel schimmernden Bild, das ein Maler aus Borlänge im Alter von zehn Jahren malte, kongenial widerspiegelt. Mando Diao mögen mit “Ochrasy” eine Welt für sich erfunden und erobert haben, in der Realität werden die fünf Schweden ihren weltweiten Siegeszug fortsetzen.

August 2006

Weitere Musik von Mando Diao

Mehr von Mando Diao