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Biografie

Max Herre hallo welt
07.11.2013
Max Herre hat ein “MTV Unplugged” aufgenommen. Das rückt ihn auf eine Stufe mit großen deutschen Künstlern wie Udo Lindenberg oder Die Ärzte, in eine Tradition mit Nirvana, Lauryn Hill, Eric Clapton, Jay Z. Mehr noch als ein konsequenter Karriereschritt und popkultureller Ritterschlag aber ist “MTV Unplugged” für Max eine Rückkehr zu seinen Wurzeln. Denn lange bevor er als Texter und MC einer ganzen Generation eine Stimme geben sollte, war er vor allem der Junge mit der Gitarre, der einfach nur spielen wollte. Das Gefühl, das er als 15-Jähriger im Proberaum suchte, findet er nun wieder – und teilt es mit einem völlig neuen Publikum.

Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte

Die Geschichte dieses in vielerlei Hinsicht besonderen Abends beginnt vor knapp 25 Jahren in einem Keller in Stuttgart-West. Der junge Max war begeistert von Funk, Soul und Reggae. Im Keller eines Freundes jammte er tagsüber zu Tracy Chapman und Terence Trent D’Arby. Abends in seinem Zimmer verschlang er meterweise Tape, selbst aufgenommene Kassetten mit den Alben von Bill Withers, Stevie Wonder, Curtis Mayfield und Bob Marley. Rapmusik, das Genre, in dem er Jahre später selbst zum Star und kulturellen Fixpunkt werden sollte, erschloss sich ihm als der nächste logische Schritt in diesem Kontinuum schwarzer Musik. HipHop war für Max eher ein Ausdruck der Integration als ein Mittel zur Abgrenzung oder subkulturelle Berufung. Man könnte auch sagen: Max ging es nie um die Regeln einer oft nur vorgeblich freigeistigen Szene. Sondern schlicht um jene magischen Momente, in denen sich alles um einen herum zu einem universellen Groove vereinigt. Der Musik Max Herres war das stets deutlich anzuhören – egal ob bei seinen frühen Schritten als Sänger der Schülerband Seedless Jam, in seiner Arbeit mit Freundeskreis oder während seiner Karriere als Solokünstler.
Schon sein allererster Auftritt als Rapper mit deutschen Texten war geprägt von dieser Sozialisation. Was genau da losging, hätten damals auch kühnere Hobby-Propheten nicht vorherzusagen gewagt. Und doch lassen sich die mehr als 20 Jahre, die seither verstrichen sind – die beiden unbestrittenen Deutschrap-Klassiker mit der Gruppe Freundeskreis, die epochalen Live-Auftritte mit den FK Allstars, die Wandlung vom Rapper zum Produzenten zum suchenden Solokünstler zum Singer-Songwriter zu Deutschlands erstem ernst zu nehmenden Erwachsenen-MC mit Ewigkeitsanspruch – nicht denken ohne jene Zeit des Aufbruchs. In Stuttgart kam es im Frühjahr 1992 zum Urknall, bei der ersten “Kolchose Jam” im Jugendhaus Mitte: Rapper, B-Boys, Writer, aber auch die Mucker aus der lokalen Live-Szene, die DJs aus den Nachtclubs, die Nerds mit dem Spex-Abo aus dem Plattenladen. Und mittendrin Max Herre: “Die Zeit war total frei, die Leute haben das alles gleichzeitig gefeiert. HipHop war eine echte Bewegung.”
Es war also nur eine Frage der Zeit, dass Max an zwei weitere HipHop-Fans gelangte, die sich dem Phänomen aus ihrer jeweils eigenen Richtung näherten. Philippe Kayser spielte mit seiner Band hausgemachten Acid Jazz, DJ Friction übte sich als Turntablist und Producer für diverse G.I.-Rapper. Bei oberflächlicher Betrachtung also gab es mehr, das die drei unterschied, als sie einte: Philippe war ein gestandener Musiker und erfahrener Produzent mit eigenem Studio, Friction ein junger HipHop-Fanatiker, Max zu diesem Zeitpunkt ein Zivi im Jugendhaus Mitte. Dennoch stimmte die Chemie auf Anhieb, schon bald gab es die ersten Auftritte. Quasi rund um die Uhr saßen Max, Philippe und Frico am Mischpult, entwickelten Songideen und feilten an Demos: “Ich immer rechts neben Philippe in einem alten, braunen Ledersessel, gegenüber Friction am Samplesuchen oder Scratchen.”
Ab und zu schauten Kollegen wie Afrob, Sékou oder Wasi von den Massiven Tönen vorbei. Aber auch befreundete Skater, Grafiker, Musiker und Künstler bewegten sich wie selbstverständlich im Umfeld des sich langsam ausprägenden Freundeskreises. “Die Kessellage und die latente Kleinstadthaftigkeit Stuttgarts haben bewirkt, dass immer wieder die selben kreativen Leute aufeinandergetroffen sind. Das waren ganz unterschiedliche Leute, die etwas machten. In Stuttgart konnte man sich nicht einfach bespaßen lassen: Die Kultur, die man konsumieren wollte, musste man sich selbst schaffen.” Die Szene war klein, talentiert und vernetzt. Man kannte, schätzte und unterstützte sich, auch über vermeintliche Gräben hinweg.

Die Jahre mit Freundeskreis

So landeten Max und Co. im Sommer 1996 bei Four Music, dem sich damals neu formierenden Label der Fantastischen Vier. Freundeskreis stellten mehrheitlich zu dritt in nur wenigen Monaten ihr erstes Album fertig. Das führte auf 19 Stücken und Skits all diese Erzählstränge zu einem extrem stimmigen Ganzen zusammen: “Quadratur des Kreises” erschien im Februar 1997 und zu sagen, dass es die Erwartungen übertraf, wäre eine dezente Untertreibung. Tracks wie “Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte”, “Wenn der Vorhang fällt” oder “Telefonterror” (mit einer blutjungen, damals noch gänzlich unbekannten Cassandra Steen) wurden quasi über Nacht kanonisch. Und mit der überarbeiteten Version von “A-N-N-A” hatte es sogar einen Top−10-Singlehit – eine echte Rarität im deutschen HipHop. “A-N-N-A” war die Hymne seines Sommers, Freundeskreis waren True School und Pop zugleich. Die mit den tiefsten Texten und den höchsten Verkaufszahlen.
Neben seiner Präzision, dem politischen Bewusstsein und dem subtilen Pop-Appeal beeindruckte bei all dem vor allem Max' Vielseitigkeit. Das Spektrum, das er mit “Quadratur des Kreises” aufmachte, erweiterte er mit seinen Feature-Strophen und Nebenprojekten quasi nach Belieben. So brachte er auf “Tabula Rasa” einen gewissen Gentleman erstmals in das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit – und schuf nebenher mit selbstverständlicher Leichtigkeit eine völlig neue Art authentischer Welt-Musik. “Halt Dich An Deiner Liebe Fest” war eine Dub-Reggae-Version eines Ton-Steine-Scherben-Klassikers und damit eine persönliche Reminiszenz an seine neben Udo Lindenberg wohl größte Inspirationsquelle als Songwriter: Rio Reiser.

All diese Fertigkeiten kulminierten im Juli 1999 auf dem zweiten Freundeskreis-Album “Esperanto”. Alles war noch reifer und runder, ausgefeilter und ausdifferenzierter. Mehr Instrumente in den Instrumentals, mehr Geschichte in den Geschichten, mehr Liebe in den Love-Songs, mehr Rap in den Rap-Songs. Die Platte verkaufte sich mehr als 300.000 mal. Der Sommer 1999 war nicht nur für Max Herre und dem Freundeskreis ein besonderer. Er markierte auch den Zenit des ersten großen Booms in der Geschichte des Deutschrap. Mit den Massiven Tönen, den Absoluten Beginnern, Eins Zwo, Afrob und eben Freundeskreis standen fünf Acts gleichzeitig in den Top 15. Plötzlich schien alles möglich – auch dass ein vergleichsweise puristischer Battle-Track wie “Tabula Rasa”, mit einem Refrain auf jamaikanischem Patois und einem Super−8-Video aus Ghana, knapp 200.000 Exemplare umsetzt.
Auf den Konzerten mischten sich aufgeregte Teenies unter die abgeklärten Heads. Der deutsche HipHop war so groß wie nie zuvor, und doch zeichnete sich am Horizont bereits sein Niedergang ab. Ihm fehlte an Weitsicht, an gewachsenen Strukturen, an einer soliden Basis talentierter Künstler und an institutioneller Intelligenz, die die stetig anwachsende Gier der zahllosen Trittbrettfahrer hätte eindämmen oder zumindest kompensieren können. Es war offensichtlich. Doch wollte, geblendet von der grell knallenden Sonne, keiner die düsteren Wolken sehen, die bereits in Windeseile heranzogen.

Max dagegen traute dem Bauchgefühl, das so viele spürten, nur keiner wahrhaben wollte, und nutzte, um im Bild zu bleiben, den goldenen Spätsommer für das perfekte Picknick. Aus dem Freundeskreis ließ er die FK Allstars erwachsen. Er integrierte langjährige Freunde und Komplizen wie Sékou, Gentleman, Joy Denalane, Afrob oder Déborah fest in die Show und bespielte mit ihnen die größten Festivalbühnen, die das Land so hergab. Eines kam zum anderen, 2000 noch das Live-Album “En Directo”, und dann war Schluss. Aufhören, wenn’s am dopesten ist: Freundeskreis waren draußen, aber ihr Mythos blieb intakt. Für immer.

Max Herre startet als Produzent und Solomusiker durch

Was machen, wenn man alles erreicht hat, was sein Genre hergibt, und vermutlich noch viel mehr als das? Max Herre zog aus dem radikalen Schnitt seine ganz eigenen, konsequenten Schlüsse. Als Produzent nahm er sich der musikalischen Vision Joy Denalanes an. Denn eines fehlte bei allem kommerziellen Erfolg und aller gesellschaftlichen Anerkennung, die deutschsprachiger Popmusik dank der Klasse von ‘99 plötzlich zuteil wurde: R&B von hier, eigenständig und echt. Joys Debütalbum “Mamani” lieferte 2002 genau das. Instinktiv machte er mit seiner Frau genau die Platte, die er immer hören wollte – und sprach damit, ohne den Mund zu öffnen, einer ganzen Generation aus der Seele. Das Album stürmte in die Top 10 und wurde für insgesamt drei ECHOs nominiert. Viel wichtiger aber war: Joy Denalane hatte ihre eigene Identität als Künstlerin. Und Max Herre hatte eine Zukunft als Musikmacher.
Nach dem Erscheinen der Platte zog Max mit Joy und ihrem gemeinsamen ersten Sohn von Stuttgart nach Berlin und machte dort alles neu. Mit der Energie und dem Erfahrungsschatz widmete er sich bald auch wieder seiner eigenen Musik. Oder besser gesagt: endlich seiner eigenen Musik. Frisch in seiner neuen Heimat Berlin angekommen, nutzte Max die höchst seltene Freiheit eines etablierten Acts, der gleichsam keinerlei Zwängen oder Verpflichtungen mehr unterliegt, um sich als Künstler neu auszuprobieren. “Max Herre” war geprägt von Umbruch, einem neuen Selbstbewusstsein als Produzent und der rigorosen Weigerung, sich den Erwartungen anderer zu fügen. Das Album stieg auf Platz Eins der deutschen Albumcharts ein.
Das zweites Soloalbum “Ein Geschenkter Tag” ist bis heute Max' mutigster musikalischer Schritt. Er drückte erneut den Reset-Knopf und nahm eine lupenreine Singer-Songwriter-Platte auf. Das ursprüngliche Konzept der Platte war gewesen: Rap-Strophen mit gesungenen Hooks voller Folk und Soul. Aber in einer Zeit, in der in Max' Privatleben hauptsächlich Fragezeichen standen, verschwand die Ausrufezeichenkultur Rap fast vollständig aus seiner Kunst. Es blieben Texte von fragiler, oft entwaffnend schlichter Schönheit. Eine vielfältige, aber spartanische Instrumentierung, aufgenommen in ganzen Takes mit den Techniken der siebziger Jahre. Die Regel war: kein Swag, kein Style. Einfach nur Musik, so direkt und ehrlich wie möglich.Fans und Kritik reagierten, wie sie in solchen Fällen eben reagieren: gespalten. Aber das Album war auch ein Experiment. Und bei Experimenten fällt eben nicht jedes Ergebnis so aus, wie man es sich im Labor zurechtgelegt hat. “Ein Geschenkter Tag” war eine wichtige, eine notwendige Platte. Denn sie zeigte Max Herre endgültig auf, dass für ihn als Künstler und Mensch alles möglich ist. Und sie gab seiner Arbeit mit seinen Co-Produzenten Samon Kawamura und Roberto Di Gioia ihren bis heute bestehenden formellen Rahmen.
2010 taten sich die drei offiziell zu einem Produzenten-Team zusammen, um ihre individuellen Erfahrungen und Expertisen künftig als KAHEDI zusammenzuführen. Ihren (vorläufigen) Höhepunkt erreichte die Zusammenarbeit 2012 mit Max Herres drittem Soloalbum: “Hallo Welt!” war genau das Album, das man sich als Fan der ersten Stunde und Feind von musikalischen Formatierungen stets von ihm gewünscht hatte. Einerseits besann sich Max auf seine Stärken, indem er zur Königsdisziplin Rap zurückkehrte und Feuer spuckte, als seien seit der Kolchose-Jam nicht 20 Jahre, sondern keine 20 Minuten vergangen. Andererseits nahm er auch in der Aufnahmekabine nie den Produzentenhut ab, öffnete sich musikalisch noch weiter und versöhnte so die zurückgenommene Melancholie von “Ein Geschenkter Tag” mit der überschwänglichen Euphorie seines ersten Soloalbums. Zusammengehalten wurden all diese Einflüsse vom Konzept des KAHEDI Radio, das die Gestaltungsfreiheit und die Mentalität eines Piratensenders auf Albumlänge übertrug. So gingen manche Songs nahtlos ineinander über, andere wurden durch Ansagen und Einspieler miteinander verbunden.

MTV Unplugged – KAHEDI Radio Show

Dieses Konzept wird nun mit “MTV Unplugged – KAHEDI Radio Show” fortgeführt. Wieder fungiert die Idee eines eigenen Radioprogramms als inhaltliche Klammer, die Herres Karriere zusätzlich verdichtet und kontextualisiert. Host des Abends ist der New Yorker HipHop-Urvater Fab 5 Freddy. Freddy war integraler Bestandteil der Downtown-Szene der späten siebziger und frühen achtziger Jahre, in der Punk und Disco auf wundersame Weise zusammenliefen.
“Wir spielen kein Frontalkonzert, sondern miteinander”, bringt Max Herre das Konzept der Show auf den Punkt. “Es geht uns um Interaktion in einer 360°-Situation, nicht um die bloße Reproduktion von Momenten.”
Vor allem aber ist “MTV Unplugged – KAHEDI Radio Show” ein echter Team-Effort, bei dem mehr als 40 Musiker und Gäste aus drei Generationen zusammenkommen. “Es geht nicht einfach nur darum, gute Leute um sich zu scharen. Ich will mit Musikern arbeiten, die Teil meiner Idee werden und mit ihren Ideen diese Idee bereichern. Die nicht nur ihr Spiel und ihre Fähigkeiten einbringen, sondern ihr Herz und ihre musikalische Vision.”
So wird “MTV Unplugged – KAHEDI Radio Show” zu mehr als einer Rückschau, wie sie dem erklärten Gegenwartsmenschen Herre nicht gerecht würde. Es ist vielmehr eine Aussage darüber, was Max Herre 2013 ausmacht und bedeutet. Die Botschaft, dass sich manchmal auch ein quadratischer Kreis vortrefflich schließen kann. Und dass Zukunft stets ein Stück Vergangenheit in sich trägt. Zumindest wenn sie so klingt wie die Musik von Max Herre.

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