Max Richter | News | Betörend unheimlich – Richters Soundtrack zur Dramaserie "Taboo"

Betörend unheimlich – Richters Soundtrack zur Dramaserie “Taboo”

Max Richter
© Rhys Frampton
14.09.2017
Was Max Richter für die Filmmusik geleistet hat, ist jetzt schon unermesslich. Ein gewaltiges Werk hat sich aufgetürmt: hochsuggestive Klänge, die jüngeren Kinoklassikern wie Folmans “Waltz with Bashir” oder Scorseses “Shutter Island” eine ureigene Poesie verliehen haben. Wie gelingt es dem britischen Komponisten, seine Musik so geschickt mit Bildern zu verbinden? Warum ist Film das ideale Medium für Max Richter?

Ideales Medium: Max Richter und der Film

Wahrscheinlich, weil seine Musik selbst filmisch ist. Sogar Werke, die Max Richter nicht eigens für das Kino oder Fernsehen produziert hat, laden zu filmischen Fantasien ein. Hügelige Landschaften, Menschen, Gesichter, Gesten, der unerbittliche Pulsschlag der Metropolen – viele bewegte Bilder drängen sich auf, wenn man in die poetische Klangkunst des diskreten Avantgarde-Komponisten eintaucht.
Hinzu kommt, dass Max Richter zuhören kann. Er besitzt die Fähigkeit, sich auf fremde Welten einzulassen. Es bereitet ihm Vergnügen, seltsamen Stimmungen nachzuspüren und zu erforschen, welche Klänge dazu passen. Das prädestiniert ihn für das Filmgenre und insbesondere für Erzählstoffe, die, wie die im Januar 2017 angelaufene britische Dramaserie “Taboo”, weit in die Vergangenheit zurückreichen. 

Taboo: Ein düsteres Drama um Liebe und Tod

“Taboo” spielt vor 200 Jahren, vor der viktorianischen Zeit in London. Die Atmosphäre ist düster. Nebel steigt aus den dunklen Gassen auf, die von der beklemmenden Kargheit des damaligen Lebens zeugen. Im Zentrum des Geschehens: der für Tod geglaubte, hochgefährliche Abenteurer James Keziah Delaney, gespielt von dem britischen Schauspieler Tom Hardy. Delaney kehrt nach einem zwölfjährigen Aufenthalt in Afrika nach Großbritannien zurück. Dort will er sich nach dem Erbe des Vaters umsehen.
Doch seine Feinde, darunter die eigene Familie und die korrupten Drahtzieher der Ostindien-Kompanie, wollen ihn mit aller Macht loswerden und das Erbe für sich behalten. Das Drama, gespickt mit unheimlichen Szenen und einer subtilen Lust am Horror, nimmt seinen Lauf. Delaney ist nicht zu stoppen. Er ist “unaufhaltsam, wie das Schicksal selber”, so Max Richter. Der Komponist ist fasziniert von der Figur des Protagonisten. Er begreift ihn als teuflisch und rückt die unheimlichen Züge des Charakters ins Zentrum seines Soundtracks.

Die Kunst des Unheimlichen: Teuflischer Bass und süßer Walzer   

Die Faszination und das unheilvolle Moment der Titelfigur vermitteln sich auf dem Album großartig, vor allem im zweiten Track. “The inexorable advance of Mr. Delaney” prescht mit einem kräftigen, monotonen Bass voran, der von zarten Streicherklängen des Orchesters umrankt wird. Den Bass formt Max Richter aus einem Tritonus, den man in früheren Zeiten als Teufelsintervall bezeichnete.
Für die Musiktheoretiker des 18. Jahrhundert besaß der Abstand von drei Tönen, so Max Richter, “eine destabilisierende Wirkung auf die Harmonie”. Die Pointe: Der boshafte Charakter von Delaney destabilisiert die Gesellschaft. Zugleich löst der zwielichtige Abenteurer, zumal auf dem erotischen Feld, Faszination aus. Max Richter fängt diese doppelte Macht der Titelfigur mit dem dominanten Bass ein.
Einerseits vermittelt dieser Bass etwas Schräges, Unheilvolles. Andererseits fasziniert die Entschlossenheit, mit der er voranschreitet. Ein Geniestreich, den Max Richter nurmehr mit seinem Einfall toppt, die unheimliche Gesamtatmosphäre der Serie mit einem lieblichen Walzer einzufangen, der uns in trügerischer Sicherheit wiegt. Kein Zweifel: Max Richter ist ein Meister des Unheimlichen.

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