Samy Deluxe | Biografie

Samy Delxue, “Berühmte letzte Worte”, 2016

Von Goethe bleiben nur die angeblichen letzten Worte “Mehr Licht” überliefert, während Tupac sich mit einem ernüchterten “Fuck you!” aus dieser Welt verabschiedete.
Samy Deluxe hat nicht bis zum letzten Atemzug gewartet – und kann es sich leisten, etwas ausführlicher zu werden. Irgendwo zwischen der Hellsicht des deutschen Dichters und der Schnoddrigkeit des Rapkönigs haut das Hamburger HipHop-Original “Berühmte letzte Worte” heraus, die allerdings weniger einem bevorstehenden Tod geschuldet sind, sondern der Rechenschaft über 20 Jahre an der Spitze der deutschen HipHop-Liga.
“Berühmte letzte Worte” von Samy Deluxe: Das bedeutet ein Album jenseits aller  Tagesmoden – und doch so frisch wie der Luftzug einer sich nahenden Faust. Oder eines endlich zu Worten geballten Gefühls. “Ich feier meine Emotionen, bevor sie meine Seele klonen” rapt Samy, und stellt sich vor, es wäre die letzte Gelegenheit, sein Leben zu bilanzieren. Natürlich gibt es ihn noch: Den Battle-Rapper, der 1995 in den Tourbus stieg und bis heute nie wieder ausgestiegen ist, den Egomanen, Flow-Master, Freestyler mit überrumpelnden bis selbstironischen Punchlines – er darf im Intro noch einmal alle Möchtegerns mit seinem flüssigen Silbenschwert niederstrecken. Doch dann geht es um mehr als nur “den geilsten Flow im ganzen Land”.
Samy Deluxe greift stattdessen die ganz großen Fragen auf, Fragen, die ihn auf seinen bisherigen acht Alben immer wieder herausforderten: Wer bin ich? Was hat mich zu dem gemacht, der ich bin? Und wie geht Deutschland mit seinen Kindern um?
Seine erste Single “Klopapier” wird da expliziter denn je: "Deutschland ist noch ganz weit vorn mit Waffenexporten/ das heißt ihr profitiert von Massenmorden…/ und seid geschockt von harten Worten."  
Ein Banger, der harte Thesen auf die souligen Beats von Produzent Bazzazian, der in Vergangenheit bereits Gentleman über Azad bis hin zu Haftbefehl produziert hat, setzt – und eine Provokation, die Deutschlands Selbstzufriedenheit als vermeintliches moralisches Vorbild in der Flüchtlingskrise zynisch kommentiert: “Ein Land in dem die Kanzlerin Flüchtlingskinder persönlich tröstet/ bevor sie sie abschiebt; ich finde das ist eine schöne Geste.”
Samys “Berühmte letzte Worte” bleiben dennoch persönlich. Seine Erfahrungen als Sohn einer deutschen Mutter und eines sudanesischen Vaters – der nach Afrika zurückkehrte als Samy zwei Jahre alt war – hatte der Rapper bereits seit “Weck mich auf” im Jahre 2001 immer wieder thematisiert. Nun befeuert seine Autobiographie einen weiteren Song: “Mimimi” . Die korrekte Abkürzung für Mitbürger mit Migrationshintergrund. Bazzazian – der bis auf zwei von Farhot produzierte Songs für das Album verantwortlich zeichnet – zerhackt hier orientalische Melodien über einem unwiderstehlichen Club-Beat, das Video zeigt eine türkische Hochzeit, während die Raps mit den Sprüchen spielen, die sich das Einwandererkind Samy Deluxe immer wieder anhören musste: “Und wenn ich mecker über dieses Land/ dann sagen sie ‘geh doch hin, woher du kommst’/ dann gehe ich eben nach Eppendorf/ ich habe auch angefangen mit rappen dort…” “Mimimi” ist eine Hymne für alle geworden, die sich fremd im eigenen Land fühlen – und feiert doch den Kulturclash mit Happy-End.
Zwei letzte Worte, die mit Wut und Lebenslust zu Ende denken was Samy bereits 2009 auf seinem  Album “Dis wo ich herkomme” anschneidet: Die Möglichkeiten einer multikulturellen Gesellschaft hierzulande. Samy predigt das nicht nur auf Platte. Er gründet den Verein “DeluxeKidz”, in dem  Jugendliche sich mit den Elementen des HipHop auseinandersetzen, rappen, Breakdance, Grafitti lernen und ihre Erfolge auf der Bühne zeigen. Zeitweise fühlt sich Samy wie der “oberste Sozialarbeiter Deutschlands”. Mit dem Nummer Eins Album “SchwarzWeiss” meldet sich Samy 2011 wieder als bester Rapper Deutschlands zurück – um das Thema Hautfarbe wie auch die heimische Dichter- und Denkerkultur durch ein paar neue Reimmühlen zu drehen. Eine darauf folgende Depression überwindet er wie Künstler das so tun: Indem er neue Wege geht. So taucht  er mit dem Gesangsalbum “Herr Sorge” in  Popmusik der etwas anderen Art ab, schreibt die Songs für ein neues Album von Nena und verliert sich in einem Schaffensrausch, in dessen Folge er zwei Mixtapes und ein Album unter dem Namen “Männlich” in einem Jahr veröffentlicht.
Im Rückblick wirkt das alles wie ein Vorspiel, um Samy 2016 zu seinem Kerngeschäft zu bringen. Zu klassischen Beats und Poesie. Und zu Themen, mit denen Samy lange gerungen hat: Wie etwa die Fernbeziehung zu seinem Sohn, der in Amerika lebt. Ihm widmet der Rapper “Papa weint nicht”: Hier offenbart sich der Mensch Samy Sorge, erzählt der Rapper von einem Traum, in dem er “auf einem Meer aus Tränen, auf einem Floß aus Trost” zu Besuch kommt.
Auch seine Mutter bekommt – für ein HipHop-Urgestein wie Samy heilige Pflicht – endlich ihren Song: “Von Dir Mama”. Der Rapper rekapituliert  da “wieviel Scheiße er schon gebaut hat”, während seine Mutter bis heute Teil seines Management-Teams ist und spielt dabei geschickt auf einige HipHop-Klassiker an.  Sowohl Tupacs “Dear Mama” wie auch Jay-Zs “Mama Loves Me” werden zitiert. “Die Leute hören mir gerne zu, wenn ich mit Worten spiele”, rapt Samy über einem Max Herre-Vocalhook in “Was ich fühl”: “Aber ab und zu wollen sie auch wissen wie ich mich wirklich fühl”.
Man kann das Erwachsenwerden eines launenhaften Genies nennen. Ein Homecoming. Doch so todernst manche Themen auch wirken mögen, Samy Deluxes mischt sie mit dem ihm eigenen Humor auf. So wie in “Haus am Mehr”. Der Refrain paraphrasiert Peter Foxs “Haus am See” – die Raps aber sprechen von der wohlbekannten Krankheit des Immer-Mehr-Wollens: “Ich wollte mehr als ein Haus am See/ jetzt sehe ich aus wie ein Idiot wenn ich draußen steh/ und auf dem Weg legen diese Orangenbaumblätter/ Warum Promi sein? Ich war happy als Underground-Rapper”.
Zum Underground-Rapper führt zwar kein Weg zurück. Doch mehr denn je distanziert sich Samy Deluxe von den Maßstäben, die andere an ihn legen, bekennt in “Countdown” dass er nie wusste, was die Fans von ihm wollen und gesteht sich in “Tellerrand” ein, trotz vergleichsweise armer Familie viel gereist zu sein und mehr als andere erlebt zu haben: “Und ich hoffe, ich kann ihnen helfen, zu verstehen/.. die Welt ist so groß doch viele haben die Welt noch nie gesehen”.
Hier spricht ein Samy Deluxe, der sich nicht als Opfer sieht. Sondern gerade in Zeiten von Hetze gegen Flüchtlinge und Angst vor Überfremdung motivieren will, das Positive zu sehen. Eine größere Perspektive einzunehmen. Kampfgeist und Kontemplation zu versöhnen. Da passt es wenn in “Mittendrin” die wunderschöne Soulstimme von Y’akoto “Über uns das Weltall, unter uns der Erdball” singt – während Samy ziemlich nüchtern Bilanz zieht: “Kann die Welt nicht retten, aber finde die Idee sehr gut…”. Berühmte letzte Worte. Ein ehrliches Loslassen.  Und eine große Liebeserklärung an HipHop aka das Leben.
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