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The Fratellis- “Here we stand”

Fratellis
28.10.2008
Jon Fratelli kann sich nicht mehr genau an DEN Moment erinnern. Irgendwann auf der 18-monatigen „Costello Music“-Welttour wurde ihm und seinen Fratelli-Kollegen jedenfalls klar, dass ihnen mit dem Debütalbum ein Volltreffer gelungen war. War es während sie vorm Radio saßen, aus dem „Chelsea Dagger“ erklang, irgendwann in der zweiten Hälfte von 2006? Oder als es auf den Tribünen von Stamford Bridge, Celtic Park und Love Street erscholl? War es, während ihr Publikum frenetisch jubelte, als The Fratellis Ende des Jahres tourten? Als sie vier Nächte die Brixton Academy ausverkauften? Als sie den 2007 Brit Award für den Best British Breakthrough Act bekamen, gewählt von den Radio−1-Hörern (also ein Publikumspreis!). Vielleicht geschah es, als Simon Pegg und Edgar Wright das Trio aus Glasgow baten, T Rex´s „Solid Gold Easy Action“ für den Abspann des Action-Comedy-Films „Hot Fuzz“ zu covern. Apple wünschte sich, „Flathead“ für einen iPod-Werbespot einzusetzen. Burberry war von einem ihrer Songs namens „Got Ma Nuts From A Hippy“ fasziniert und nutzte ihn für einen Parfüm-Spot. Oder passierte es, als „Costello Music“ die Verkaufsmarke von einer Million passierte?

Nein, jetzt fällt Jon DER Moment ein, an dem er den Durchbruch fühlte, der Solid-Gold-Easy-Action-Mega-Kick. „Keine Frage, es passierte beim T In The Park im Juli 2006“, nickt er. „Wir hatten gerade die erste Single „Henrietta“ veröffentlicht. „Chelsea Dagger“ war noch nicht draußen, das Album sollte erst zwei Monate später kommen.“ The Fratellis spielten im New Band Tent des schottischen Festivals, verschiedene Magazine hatten sie zuvor bereits zur besten neuen Band Großbritanniens gekürt. „Ich konnte nicht glauben, wie viele Menschen erschienen waren – und wir spielten zur gleichen Zeit wie The Who. Unglaublich! Das ist immer noch meine liebste Erinnerung der letzten eineinhalb Jahre.“

In diesem Sommer sind Jon (Gesang/Gitarre/Piano), Barry (Bass) und Mince (Schlagzeug) wieder im T In The Park. Diesmal spielen sie auf der Hauptbühne, einen Slot vor dem Headliner. Nach ihnen kommen nur noch Rage Against The Machine, „dagegen kann man wenig machen, obwohl ich´s versucht habe“, lacht Jon, ein Mann, der auf den Straßen Glasgows in die Schule des Lebens gegangen ist. Ein Songwriter, der nicht mehr als ein paar Tage ruhen wollte – und konnte – nachdem The Fratellis ihre Tour mit einer triumphalen Willkommensshow in Glasgows SECC am 30. September 2007 beendet hatten. Ein Mann, der weiß, dass seine Band soeben ein Album fertig gestellt hat, welches sogar das unfassbar erfolgreiche Debüt toppt.

„Here We Stand“ hat den größeren, fetteren, stärkeren, sogar eingängigeren Sound der Fratellis ´08. Mit Rock´n´Roll-Piano! „Für mich“, meinte Jon zum Q Magazine vor ein paar Monaten, „klingt „Costello Music“ inzwischen etwas fremd.“ Was meinte er damit? „Als wir es einspielten, waren wir erst neun Monate zusammen. In dieser Zeit hatten wir 25 oder 30 Gigs gespielt, bei weitem nicht genug, um zu entscheiden, wie wir klingen wollten. Doch nachdem du zwei Jahre getourt bist, wirst du eine echte Band.“ The Fratellis spielten 2006 sechs Shows im UK. 2007 unternahmen sie drei Tourneen in den USA! Zeitweilig wurde es etwas viel, irgendwann reichte es dem erschöpften Jon, er sprang ins Flugzeug zurück nach Hause und flog zusammen mit seiner Freundin (heute seine Frau) weiter zum Urlaub nach Malta. Die Burlesk-Tänzerin ist seine Seelenverwandte, deren Namen er für „Chelsea Dagger“ klaute. Aber fürs Touring gilt, was dich nicht umbringt…

Schnell war er zurück auf der Straße, um sogar noch größere Shows in den USA zu spielen. The Fratellis supporteten The Police auf ihrer ausverkauften Arena-Tour. „Es ist merkwürdig, wenn du auf die Bühne kommst und keiner im Publikum einen Mucks macht…“, lacht er. „Es ist noch lustiger, wenn du anfängst zu spielen und sie immer noch kein Geräusch machen.“ Das änderten The Fratellis. „Costello Music“ klang nicht mehr nach uns, wir wurden heavier. So gingen die neuen Songs vom aktuellen Album mehr in diese Richtung.“ Die Band nahm ihre Bühnenerfahrungen und nutzte sie zu Hause in Glasgow. Jon verbrachte den letzten Herbst mit Schreiben, während die neuen Ambitionen der Band in die Tat umgesetzt wurden: ein eigenes Studio im West End der Stadt. Sie sagten ihrem Label: „Anstatt Geld für einen Produzenten zu bezahlen, kaufen wir ein Gebäude, ihr bezahlt die Geräte und wir produzieren uns selbst…“, erinnert sich Jon. „Das erste Album hatten wir in LA mit (Beck-, Air-) Produzent Tony Hoffer gemacht. Für das zweite wählten wir den harten Weg, ohne das Sicherheitsnetz eines erprobten Studios und Produzenten. Das hätte auch schief gehen können…“

Ging es aber nicht! Das wird bereits nach acht Sekunden von „My Friend John“ klar, dem Eröffnungssong von „Here We Stand“. Er ist eine galoppierende Nummer über einen Typen, der so beschrieben wird: „A serious one, buttons up the back and a job half done… his teeth get itchy and his rubber soles burn, when will he ever learn?“ „Das bin ich auf jeden Fall“, gibt Jon zu. Obwohl er das nicht merkte, als er den Song schrieb. „Im Grunde sage ich zu mir selbst: „Hör auf, so ein Idiot zu sein!“ Einen Moment später übertreffen The Fratellis den stürmischen Opener sogar, „A Heady Tale“ ähnelt einem von Pete Townsends großartigeren „Who´s Next?“-Momenten: Ein piano-getriebener Kracher mit Windmühlen-Riffs. Jon erinnert sich, wie er ihn schrieb, während er mürrisch auf einen Bildschirm starrte. Zuvor war er überredet worden, ein neues, kunterbuntes Video für „Chelsea Dagger“ zu machen.

Der frenetische Rock´n´Blues´n´Glam-Stampfer „Tell Me A Lie“ wurde in einem Kopenhagener Hotelzimmer geschrieben. „Es handelt von all den Lügen und Halbwahrheiten, die wir den Interviewern erzählten“, räumt Jon mit einem Grinsen ein, während er darauf beharrt, dass sein Vater mit der Skiffle-Legende Lonnie Donnegan gespielt hatte (das war offensichtlich bevor Papa Fratelli zum städtischen Vermessungstechniker wurde). Dann gibt es noch „Mistress Mabel“, die erste Single, die mit einem Plätschern beginnt, das an Stevie Wonders „Superstition“ erinnert, bevor es zu einem Goldregen explodiert, typisch für The Fratellis, die derartige Eruptionen zu einer Kunstform gemacht haben. Es beinhaltet dieses Bar-Room-Piano, das der Elton John der Siebziger oder der Jerry Lee Lewis der Fünfziger mit Sicherheit gutgeheißen hätte. „Ich höre viele dieser langsamen Indie-Klavierballaden, aber ich höre keine Piano-Slides, die einen Song wirklich aufregend machen“, sagt Jon. In einem Rausch von Kreativität spielten The Fratellis all dies innerhalb von vier Wochen im Dezember/Januar ein. Dann ließ Dreifach-Grammy-Gewinner-Mixer Tom Lord-Alge (Manics, Oasis, U2, Stones etc.) etwas Zauberpulver drüber rieseln. Anschließend war „Here We Stand“ fertig, ein Album, das vor gut gelaunten Hymnen nur so überfließt. Man wird dieses Jahr keine größere Platte hören.

Haben The Fratellis mit ihrem zweiten Album ihre britischen, gitarre-schwingenden Kollegen übertrumpft? Welche Kollegen? „Das dünne Indie-Geschepper, das den neuen Mainstream-Pop dieses Landes bildet“, seufzt Jon Fratelli, ein Mann, der weiß, was er mag (Pink Floyd und den Namen „Camel Toe“ für ihr Studio. „Möglich, dass die anderen da noch ihr Veto einlegen werden…“) und was er nicht mag (Hollywood-Produzenten, die fragen, ob sie „Chelsea Dagger“ für irgendwelche Z-Filme nutzen dürfen). „Wir wollten so weit wie möglich weg von diesem Indie-Band-Geschepper. „Here We Stand“ klingt völlig anders. Es klingt wie eine richtig gute Rock´n´Roll-scheibe.“ Nachdem du deine Ohren vom Boden aufgesammelt hast, wirst du der gleichen Meinung sein.

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