Tom Jones | Biografie

Biografie 2010

Tom Jones
 
„Praise and Blame“ (VÖ: 23.07.2010)
„Wir wollten zum Kern der Sache, zum Ursprung zurück, sprich: meine Stimme, die einfach nur von einer Rhythmusgruppe begleitet wird, und kein Overdubbing, kein Firlefanz, keine komplizierten Bläser- oder Streicher-Parts. Stattdessen ging es darum, den ganzen Song am Stück in einer Session aufzunehmen, die Essenz des jeweiligen Songs, also die Aussage, den Spirit und somit letztlich einfach den jeweiligen Moment einzufangen. Und ich würde mal sagen, dass uns das auch gelungen ist“, sagt Tom Jones, jene Gesangs-Ikone aus Wales, die dieses Jahr siebzig wird und gerade die Aufnahmen zu „Praise and Blame“ beendet hat, dem Nachfolger seines „24 Hours“-Albums. „Ich bin wahnsinnig stolz auf die Ergebnisse“, sagt er weiterhin, „die Platte klingt so unglaublich ehrlich und ungekünstelt. Und es ist ein Album, das unbedingt zum Nachdenken anregt.“
Wirklich außergewöhnlich ist an dem Album, dass man hier demjenigen Tom Jones noch einmal begegnet, der schon als Kind vor dem Radio hing, um Sängerinnen wie Mahalia Jackson und Sister Rosetta Tharpe zuzuhören; der schon früh davon überzeugt war, dass Gospel „genau wie Rockmusik funktioniert, weil da genauso viel passiert, während die Texte noch mehr Tiefgang haben“, und der das Vaterunser auf Schulversammlungen in ein Spiritual verwandelte, „weil ich gar nicht anders singen konnte. Für mich war das ganz selbstverständlich.“ Anders gesagt: Auf „Praise and Blame“ begegnet man einem Tom Jones, der zu seinen Wurzeln zurückkehrt, zu Gospel, Blues, Traditionals und Country-Songs, und sein wahres Wesen in Texten präsentiert, in denen er kein Blatt vor den Mund nimmt.
Während der Aufnahmen mit dem Produzenten Ethan Johns (Kings Of Leon, Ray LaMontagne, Paolo Nutini, Laura Marling), die in Peter Gabriels Real World Studios in einem beschaulichen Dörfchen namens Box in Wiltshire stattfanden, gelang es Tom, wirklich alles aus sich herauszuholen: „Meine Großmutter hat früher in Box gelebt. Sie war in einer Baptistengemeinde, und wahrscheinlich hätten ihr meine neuen Songs richtig gut gefallen. Ich hab das einfach mal als gutes Zeichen interpretiert und daraus geschlossen, dass ich auf dem richtigen Weg war mit dieser Platte“, so Tom.
Mit der Unterstützung von erfahrenen Musikern wie dem Steel-Gitarristen BJ Cole, Keyboard-Legende Booker T. Jones (von Booker T. & The MGs), Chris Holland an der Hammondorgel sowie Gillian Welsh, Alison Pierce, Dave Rawlings und Orin Waters, die den Hintergrundgesang beisteuerten, ist Tom Jones wieder einmal zu absoluter Höchstform aufgelaufen: Er gewährt tiefe Einblicke in sein Seelenleben und benennt die Dinge ungeschminkt beim Namen. Ganz gleich, ob es sich um John Lee Hookers „Burning Hell“, um Bob Dylans „What Good Am I“, Jesse Mae Hemphills „Lord Help The Poor And Needy“, um „Did Trouble Me“ von Susan Werner oder „If I Give My Soul“ von Billy Joe Shaver handelt – Jones drückt jedem dieser Songs seinen unverkennbaren Stempel auf und lässt sie so klingen, als wären sie eigens für ihn komponiert worden.
Nachdem er sich darüber im Klaren war, in welche Richtung er mit „Praise and Blame“ aufbrechen wollte, kam für ihn kein anderer Produzent als Ethan Johns in Frage: „Er hat diesen ganz besonderen Ansatz im Studio“, meint Tom. „Er reduziert alles im Studio aufs Nötigste, und genau das hatte ich schließlich im Sinn.“
Auch die Wahl der Session-Musiker für seine Studioband – bestehend aus Ethan (Gitarre, Mellotron, Percussion), Jeremy Stacey (Schlagzeug) und Dave Bronze (Bass) – entpuppte sich als goldrichtig: „Das alles fühlte sich wie damals in den Sechzigern an, als ich bei meinen Club-Gigs nur von einer Rhythmusgruppe unterstützt wurde und wir diesen unfassbar erdigen Sound präsentierten“, berichtet Tom. „Als ich damals Aufnahmen für Decca machte, ging ich einfach ins Studio und die ganzen Arrangements der Songs standen schon; mir blieb also nichts anderes übrig, als mich da irgendwie hineinzufinden. Bei diesem Album lief das jedoch vollkommen anders ab: Wir brachten uns permanent gegenseitig auf neue Ideen und arbeiteten wirklich gemeinsam an den neuen Stücken, was man auf der LP auch deutlich heraushören kann. Jeder brachte ein paar Ideen ein, dann einigten wir uns auf die Tonart, und los ging’s – das war wirklich großartig, denn man konnte fühlen, wie wir am gleichen Strang zogen: Wir wuchsen während der Sessions wirklich zu einer Einheit zusammen. Dazu kommt, dass keiner von uns Kopfhörer trug: Ich sang einfach drauflos und die anderen spielten dazu ohne Verstärker, und wenn etwas nicht gleich funktionierte oder wir uns vielleicht verspielten, versuchten wir es gar nicht erst mit Overdubbing, sondern fingen einfach wieder ganz von vorne an, bis der Song schließlich saß.“
Als nächstes mussten natürlich die Songs ausgewählt werden: „Mir war von Anfang an klar, dass es dabei um spirituelle Angelegenheiten gehen musste. Die Songs sollten zu mir sprechen – und hoffentlich auch zu anderen –, und sie mussten eine Botschaft kommunizieren“, berichtet Tom. So zeichnet „Praise and Blame“ insgesamt die Stationen der Reise eines heranwachsenden Mannes nach, sein Erwachsenwerden, „während er sich seine Gedanken macht, die Dinge betrachtet und seine Meinung dazu abgibt.“ Zwar sei es nicht unbedingt ein autobiografisches Album, „aber es gibt da doch diese Momente, in denen ich mich erkennen und aus denen ich auch heute noch etwas lernen kann.“
Welche der Songs schließlich auf der LP landen sollten, war schnell entschieden: „Letzten Endes hing alles davon ab, ob der jeweilige Song uns persönlich inspirierte: Wenn wir ihn zu unserem Song machen und ihn verändern beziehungsweise im Idealfall noch verbessern konnten, dann kam er auch aufs Album. Ich persönlich bin ein großer Fan von ‘Why Me Lord’ von Kris Kristofferson, aber ehrlich gesagt wusste ich nicht, was man der Originalversion noch hinzufügen sollte. Dasselbe gilt für ‘Amazing Grace’, denn auch davon existieren schon so viele großartige Versionen, dass ich nicht das Gefühl hatte, wir könnten da noch einen draufsetzen.“
Ein Song, auf den sie sich jedoch einigen konnten, entpuppte sich im Handumdrehen als echte Herausforderung: „Was den Song ‘Run On’ betrifft, haben sowohl das Golden Gate Quartet als auch Elvis fantastische Versionen davon aufgenommen, und ich hatte kein Interesse daran, eine dieser beiden Aufnahmen als Vorlage zu nehmen. Ich wusste also, dass wir etwas ganz Besonderes machen mussten, wenn der Song denn überhaupt auf dem Album landen sollte. Darum entschlossen wir uns schließlich dazu, eine rockigere Version mit sehr viel mehr Druck aufzunehmen, was uns dann auch tatsächlich gelungen ist: Unsere Variante klingt viel lebendiger und erdiger.“
Auf Bob Dylans “What Good Am I” von dessen “Oh Mercy”-Album aus dem Jahr 1989 fiel die Wahl, weil Tom vom Songtext so sehr angetan war: “'What good am I, if I’m like all the rest?/If I just turn away when I see how you’re dressed,/If I shut myself off so I can’t hear you cry,/What good am I?', lautet der Text, und wie können einen diese Worte bitte nicht bewegen?! Der Song ist einfach wahnsinnig ergreifend. Mich regt dieser Text automatisch zum Nachdenken an, und hoffentlich geht es den Zuhörern dabei ähnlich. Gleiches gilt für ‘Did Trouble Me’: In dem Fall ist es die Zeile ‘When I held my head too high too proud,/When I raised my voice too little too loud,/My Lord did trouble me’. Auch ich habe ein paar Dinge in meinem Leben gemacht, für die mir der Allmächtige später die Quittung serviert hat; vielleicht war ich zu großspurig gewesen oder zu sehr von mir eingenommen, und dann passiert etwas und man denkt nur: Okay, so kann ich also nicht weitermachen. Besonders an unserer Version ist auch, dass Ethan in diesem Fall Banjo spielt, wo sich normalerweise Gesang und Hintergrundgesang abwechseln, aber hier übernimmt das Banjo die Rolle der zweiten Stimme und es funktioniert so einfach perfekt.”
Und dann hat sich Tom auch ein Spiritual wie “Nobody’s Fault But Mine” und den heftigen Blues-Sound von “Burning Hell” vorgeknöpft: Ersteren münzt er in ein besinnliches Klagelied um (bei dem er noch einmal sein ganzes Können als Sänger unter Beweis stellt), während “Burning Hell” in seiner Version so unglaublich druckvoll klingt, dass man dabei automatisch an The White Stripes denken muss. Weiter geht’s mit “Strange Things Happen Every Day” von Sister Rosetta Tharpe, Mahalia Jacksons “Didn’t It Rain” und dem Traditional “Ain’t No Grave”. “You Don’t Knock” und “Lord Help The Poor And Needy” verpasst er einen fast schon an Punk erinnernden Blues-Anstrich, während einem bei seiner fesselnden Version von “If I Give My Soul” unweigerlich ein Schauer über den Rücken läuft.
Abschließend beschreibt Tom Jones sein neues Album als „Stoff zum Nachdenken: Es ist einfach nur echt und aufrichtig; eine sehr persönliche Platte, in der ich mein wahres Wesen zum Ausdruck bringe.“ Um das zu erkennen, muss man “Praise and Blame” nur ein einziges Mal hören.
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