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Die Kunst des Schlichten

08.03.2006
Nach heutigen Maßstäben wäre es kaum noch denkbar, dass jemand ähnlich gekonnt Geige wie Klavier spielt. Für Wolfgang Amadeus Mozart jedoch war es selbstverständlich, schließlich hatte er von klein auf als Wunderkind an beiden Instrumenten geglänzt. Er trat als Solist in Erscheinung, vor allem zur Unterhaltung abendlicher Gesellschaften, mal im offiziellen, mal im familiären Ambiente. Während der 1770er Jahre entstanden insgesamt fünf Violinkonzerte, später griff er dann nur noch in der “Sinfonia Concertante” von 1779 auf die Geige als leitendes Instrument zurück. Längst hatten andere Formen von den Klavierwerken und geistlichen Stücken bis hin zu den Opern sich in den Mittelpunkt seines Interesses geschoben.
Es waren vergleichsweise sichere Jahre. Mozart hatte eine Stelle am Salzburger Hof und konnte sich auf eine relativ gesicherte materielle Basis verlassen. Als Konzertmeister des fürsterzbischöflichen Hoforchesters war er zwar keine besonders privilegierte Persönlichkeit, konnte aber immerhin sich auf zahlreiche gesellschaftliche Anlässe verlassen, die ihm Gelegenheit zur Darbietung seiner musikalischen Ideen boten. Man kann daher davon ausgehen, dass er seine fünf “Violinkonzerte” auch für den eigenen Vortrag etwa im Rahmen einer Vespermusik geschrieben hatte. Manchmal boten sich auch Gelegenheiten, sie an anderen Orten vorzustellen. “Auf die Nacht beym soupée spiellte ich das strasburger-Concert [vermutlich sein drittes oder viertes Violinkonzert]. Es gieng wie öhl. Alles lobte den schönen, reinen Ton”, berichtete der brave Sohn dem Vater in einem Brief vom Oktober 1777, als er sich wahrscheinlich im Rahmen seiner Paris-Reise in Augsburg als Solist präsentierte. Der reine Ton war auch ein Resultat einer gestalterischen Technik, die bei der Ausformung der Kompositionen darauf achtete, ornamentierenden Schnickschnack zugunsten einfacher, aber wirkungsvoller Mittel beiseite zu lassen. Im Vergleich zu kämpfenden Konzerten im 19.Jahrhundert, wo ein Virtuose mit möglichst ausgefallenen Mitteln sich gegenüber einem Orchester behaupten musste, wählte Mozart klare und transparente Methoden, etwa über deutliche thematische oder auch dynamische Kontraste beide Parteien auf der Bühne angenehm wirken zu lassen.

Das heißt allerdings nicht, dass es sich bei Mozarts “Violinkonzerten” um Werke ausschließlich schlichter Natur handelt. Sie versuchen lediglich, mit minimalem Aufwand eine maximale Wirkung zu erzielen und fordern gerade deshalb den Interpreten eine hohe Gestaltungskompetenz ab. Denn nach heutigen Vortragskriterien steht gerade nicht mehr der unterhaltende Anteil der Musik im Vordergrund, sondern die Besonderheit, die die Konzerte von den vielen Konkurrenzprodukten der damaligen Jahre unterscheidet. Insofern ist das Team von Gidon Kremer und Nikolaus Harnoncourt eine prominente und passende Wahl, um aus den Kompositionen eine ungewöhnliche Aufnahme zu machen. Der eine avantgarde-erprobt und mit zahlreichen Wassern zeitgenössischer Vortragskunst gewaschen, der andere einer der Vorreiter der historischen Aufführungspraxis und Spezialist für Alte Musik, treffen zwei Individualisten aufeinander, die komplexe künstlerische Vorstellungen an die Werke heranzutragen verstehen. Die zwischen 1984 und 1987 im Großen Saal des Musikvereins und im Wiener Konzerthaus entstandenen Aufnahmen mit den Wiener Philharmonikern als Orchester zeugen von kristallener Klarheit auf der einen Seite – der Rezensent des Daily Telegraph sprach gar von “Makellosigkeit” -, zugleich aber von einer beinahe improvisiert wirkenden Leichtigkeit der Gesamtwirkung, die vor allem bei den verschmitzten dritten Sätzen zu unerwarteten, lebhaften Hörerlebnissen führt. So wird die im Rahmen der Mozart Collection gewählte Aufnahme längst als Klassiker der behutsamen Umdeutung verstanden, als Grundlage für ein modernes und von Innerlichkeit- und Unterhaltungsmythen entschlacktes Verständnis dieser cleveren, kompakten Werke.

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