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Ein Interview mit Hannes Wader

01.09.2011
Sie gelten allgemein als „normal geblieben“. Wie schätzen Sie sich selber ein?

Also, das mit dem „normal geblieben“ möchte ich einschränken. Ich bin nie normal gewesen, habe mich insofern nicht sehr verändert. Ich bin lediglich nur der geblieben, der ich immer war, bei allen Veränderungen, die es gegeben hat. Aber ich weiß, was Sie meinen. Ich gebe mir da keine Mühe, besonders normal oder unnormal zu sein. Ich mache das einfach so. Auf der Bühne bin ich auf der Bühne. Da versuche ich so professionell wie möglich zu sein, also meine Texte nicht zu vergessen. Das ist auch schon alles. Außerhalb der Bühne bewege ich mich wie alle anderen Leute auch. Ich versuche es jedenfalls, es gelingt auch.

Die Bühne ist der Ort, an dem sich die wesentlichen Ereignisse Ihres Lebens abgespielt haben. Auf der Bühne der Burg Waldeck wurden Sie bekannt, neben einer anderen Bühne in Essen einige Jahre später ungerechtfertigt verhaftet. Sie gehen dennoch immer noch, mit fast stoischer Regelmäßigkeit, auf Tournee. Wie kommen Sie mit dieser Dauerbelastung zurecht?

Inzwischen gibt es eine Routine, nach fünfunddreißig Jahren. Gott sei Dank. Ich habe lange gebraucht, um mich mental auf die Tourneen einzurichten. Früher war das auch noch alles ein bisschen mehr durcheinander. Dann habe ich mal Tourneen von sechzig Tagen, oder sogar mal achtzig, gemacht. Da habe ich mich auch nicht drauf vorbereitet und bin einfach losgefahren. Jemand hat das für mich organisiert, das ist heute noch genauso. Es wird organisiert, aber mit einer gewissen Regelmäßigkeit. Ich mache pro Jahr vier Tourneen, von jeweils fünfzehn oder zwanzig Tagen Länge. Ohne „day off“, ohne freien Tag. So läuft das heute, das ist ziemlich ritualisiert.

Ihre Lieder wirken, wie bei jedem ernstzunehmenden Liedermacher, auf das Publikum ein. Welche Funktion übernehmen Sie mit Ihrer Musik?

Ich habe keine Ahnung, was für eine Funktion ich habe. Welche Funktion hat überhaupt Kultur und Kunst? In den 1960er und 1970er Jahren war das natürlich ein brennendes Thema, aber dann habe ich nicht mehr darüber nachgedacht. Soziale Funktion? Keine Ahnung! Ich singe gerne und ich singe gerne für Leute, die mich gerne hören. Vielleicht gibt es Dinge, die ich oder auch Kollegen in ihren Liedern ausdrücken, die viele Leute schon gefühlt oder gedacht haben, und sich so verstanden fühlen. Sie denken: „So würde ich das gerne sagen oder denken, aber es gelingt mir nicht. Aber jetzt ist es schön, wenn es jemand ausspricht.“ Dadurch fühlen sie sich mit ihren Vorstellungen oder Problemen nicht so ganz alleine. Das kann die soziale Funktion sein. Ich mache meine Lieder ja erst mal für mich und dann singe ich die. Es ist wie eine Art Flaschenpost, die irgendwo im Meer dümpelt. Wenn die irgendwo ankommt und die Botschaft wird, falls diese Buddel überhaupt eine Botschaft enthält, gelesen, habe ich Glück gehabt.

Geboren wurden Sie in Bielefeld, wo Sie dann eine Ausbildung zum Dekorateur absolvierten. Um Ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, arbeiteten Sie unter anderem auch als Klarinettist in einer Jazzband und als Barmusiker. Welche musikalischen Einflüsse haben Sie damals inspiriert?

Zuerst mal gab es bei uns im Westen, Anfang der 1960er Jahre, die Folkbewegung, die über den Atlantik kam. Mit bekannten Namen, wie Bob Dylan und wie die alle damals hießen. Das hat uns hier sehr beeindruckt und sehr beeinflusst. Damals lernte alles Gitarre, was nicht bei drei auf dem Baum war und spielte diese Lieder. Hauptsächlich englische, amerikanische oder irische Folksongs, oder Dylansongs. Ja, Dylan war für mich eine große Nummer. Aber vor Dylan gab es noch jemanden, nämlich Georges Brassens. Ich bin eigentlich mehr frankophil als anglophil. Wir Deutschen sind ja gespalten in anglophile, frankophile und germanophile. Letztere sind die Nazis. Ich habe damals, ohne ein Wort Französisch zu verstehen, diesen Georges Brassens gehört und jemanden gefragt, der das verstand: „Was singt der da?“ Dann hat der mir das übersetzt und ich dachte, mich tritt ein Pferd. Da habe ich gedacht: „So was kann man singen, solche Texte? Das kann doch nicht war sein. Das mache ich auch.“ Dann habe ich gleich angefangen, stehenden Fußes.

Zur gleichen Zeit beginnen Sie in Berlin auch mit einem Graphikstudium…

Da sah ich zum ersten Mal in meinem Leben Pflastermaler und Straßenmusiker. Das gab es zu Hause in Bielefeld nicht. Da fühlte ich mich zu Hause, da habe ich mich eingereiht und zwar nicht auf der Straße gemalt, aber gesungen.

Berlin ist zu dieser Zeit das Zentrum der Kriegsgegner, der Künstler und Kreativen. Im Kreis der jungen Musiker und Liedermacher finden Sie eine geistige Heimat. 1965 wird auf der Burg Waldeck zum ersten Mal das Folk- und Songfestival abgehalten. Welche Erinnerungen haben Sie an dieses Festival?

Das war phantastisch. Es war gegründet von Leuten, die der bündischen Bewegung angehörten, von der ich überhaupt keine Ahnung hatte. Ich komme aus dem Teutoburger Wald, quasi Landproletariat, da gab es so etwas nicht. Das war aber zu der Zeit noch recht lebendig und die fortschrittlicheren unter denen, die gründeten auf der Burg Waldeck dieses Festival. Die neuen Lieder und Protestgesänge kamen von überall her und wurden einer Öffentlichkeit angeboten. Das lag damals in der Luft, das war die Grundstimmung. Ich kam da hin und war vollkommen überwältigt von dieser Stimmung und von den Liedern, die die Leute da sangen. Ich hörte zum ersten Mal Degenhardt, Süverkrüp und auch die ausländischen Kollegen, wie Phil Ochs. Damals habe ich dann die entscheidenden Freundschaften geschlossen, die heute noch existieren. Dann durfte ich auch auftreten, denn ich hatte schon drei Lieder geschrieben. Auf der großen Bühne, vor zweitausend Leuten. Es war entsetzlich. Ich hatte noch nie vor so einer Menge Menschen gestanden. Dann gab es Tumulte und ich wollte von der Bühne springen, da haben sie mich nicht runtergelassen. Bis ich dann begriff, dass ich noch mal singen sollte. Ich sagte: „Ich habe doch keine Lieder mehr. Lasst mich doch hier runter! Ich habe doch nur drei Lieder.“ „Ja, noch mal!“ Dann musste ich dann ein oder zwei Lieder noch mal singen. Dann bin ich von der Bühne gesprungen, quasi geflohen, in den Wald. Habe fast einen Heulkrampf gekriegt. Ich dachte: „Was ist denn jetzt los?“ Hinterher stellte sich raus, dass es mein Durchbruch war. Mit drei Liedern! Das ist die erste Erinnerung an die Burg Waldeck für mich. Es war eine entscheidende Situation für mich, für mein ganzes Leben.

Ihre erste Langspielplatte „Hannes Wader singt“ wird 1969 von Knut Kiesewetter produziert. Sie leben weiterhin in Berlin, das sich immer mehr zum Zentrum der Studentenunruhen entwickelt. Inwieweit hatten diese Unruhen einen Einfluss auf ihre Arbeit?

Das haben sie sicherlich, aber nur mittelbar. Weil ich aus der Provinz nach Berlin kam. Das Tempo hat mich ziemlich überrascht und mitgerissen. Ich konnte kaum Schritt halten, mit dem was da alles passierte. Ich bin immer so ein bisschen provinziell gewesen und auch geblieben. Was künstlerisch übrigens ein Vorteil ist. Bei den Ereignissen, die sich damals überstürzten, mit der Studentenbewegung und den Protesten gegen den Vietnamkrieg, die dann weltweit wuchsen und anschwollen, war ich natürlich immer mit dabei. Aber ohne irgendetwas richtig zu begreifen. Erst als der Spuk vorbei war, die Studentenbewegung abflaute und die rebellierenden Stundenten vielleicht auch schon zum Teil etabliert waren, und dann Karriere machten, da habe ich mich erst richtig für Politik interessiert. Und auch für die Lehren von Karl Marx und Lenin, und so weiter. Das hat mich damals schwer beeindruckt und da wurde ich Kommunist. Als die Mehrheit derjenigen, die vorher auf der Straße rebelliert hatten, schon wieder zahm geworden war. Das heißt, bei mir läuft alles immer ein bisschen verspätet und versetzt ab.

Ihre Texte sind oft direkter und ironischer als die anderer Kollegen. Welchen Stellenwert messen Sie der Ironie bei?

Ironie ist ein Mittel des Ausdrucks und nicht mehr. Es gibt auch ironische Existenzen, die sind von morgens bis abends ironisch. Das ist unangenehm. Das ist wahrscheinlich so eine Art Panzer, das sind Menschen, die sich schützen müssen. So einer möchte ich nicht sein, darf ich auch nicht. Als Künstler muss man sich schon aussetzen, auch gefühlsmäßig aussetzen. Ironie ist ein Stilmittel, um etwas auszudrücken, was sich vielleicht auf einer anderen Ebene, vielleicht des Zorns, der Wut oder der Melancholie nicht ausdrücken lässt. Mehr ist es eigentlich nicht. Ich bin kein ironischer Mensch. Es steht mir nur als Mittel zur Verfügung, um mich damit auszudrücken.

Ihr Stilmittel, die Ironie, macht Sie bald bekannt. Arbeitet ein Liedermacher mit leicht ironischen Texten, so reagiert ein bestimmter Hörerkreis darauf mit Abstand. In ihrem Fall waren das die Medien. Woher kam, Ihrer Meinung nach, diese teils offenkundige Ablehnung ihrer Arbeit?

Ich würde den altmodischen Begriff Klassenfrage wieder ins Spiel bringen. Ich habe eine andere Art als andere Kollegen. Ich war ja kein Intellektueller. Nur Volksschüler, acht Jahre Volksschule, und mit dreizehn Jahren in die Lehre gekommen. Ich war dieser Sphäre vollkommen fremd, habe mich auch so verhalten und verhalte mich auch heute noch so. Ich bin immer noch kein Intellektueller in dem Sinne. Man müsste mich inzwischen zwar darunter subsumieren, aber ich bin es eigentlich nicht. Hätte nichts dagegen einer zu sein, denn ich bin kein Antiintellektueller. Irgendwie habe ich das Gefühl gehabt, dass die wussten, dass so jemand wie ich das eigentlich nicht darf. Ohne Abitur. Ungeschliffen eben, mir fehlt sozusagen die akademische Brechung, was ich inzwischen als einen enormen Vorteil empfinde. Ich habe mich ja auch in meinen Liedern nie gescheut, brutal oder sentimental zu sein. Viele haben eine gewisse Art von Direktheit und Unmittelbarkeit. Diese Texte und diese Art, wie die gemacht sind, scheinen eine Art subversiver Kraft zu haben. Was ganz bestimmte Leute verstört, immer noch. Es haftet meiner Person und auch meinen Liedern irgendetwas an, was manche Leute, die alle auf bestimmte Weise, sagen wir mal, akademisch sozialisiert sind, nicht goutieren können. Und das ist schön, sie sollen es ja auch gar nicht.

Ohne es zu wollen, geraten Sie 1972 selbst in den Sog der Ereignisse. Gerade haben Sie die Aufnahmen der LP „7 Lieder“ beendet. Zu dieser Zeit vermieten Sie ihre Wohnung an eine Frau Utesch, angeblich freie Mitarbeiterin des NDR. Sie wissen nicht, dass es sich bei Frau Utesch um Gudrun Ensslin handelt, die Mitglied der sogenannten Baader-Meinhof-Bande ist. Sie werden deshalb verhaftet…

Das war für mich eine grässliche Zeit. Ich habe vorher die zwei Gewalten, die Medien und auch den Staat, als Gewalt nicht so wahrgenommen. Aber danach, in der Mühle des Staatsapparates! Es lief ein Ermittlungsverfahren gegen mich, wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Über Jahre! Ich wurde ständig beobachtet, von Leuten, stellen Sie sich das vor, mit Trenchcoats. Kaugummi kauend! Die sahen aus wie Humphrey Bogart und taten auch so. Das waren die Ermittlungsbeamten, die waren mir ständig auf der Spur. Viel los war natürlich auch in diesen alternativen Szenekneipen, wo die Hippies alle rum hingen und die antiautoritären Leute. Da ging ich dann auch immer hin und trank abends mein Bier. Dauernd musste ich irgendwelche Wanzen aus meinem Telefon entfernen. Es war unglaublich. Dann gab es die Medien, die mir einfach die Tür vor der Nase zuschlugen. Aber es gab eine Koinzidenz, ein Zusammentreffen gleichzeitig mit der Explosion meines ersten Ruhmes und diese Gegenbewegung der Medien, das zu unterdrücken. Mich nicht zu senden und mich mit dem Arsch nicht hoch kommen zu lassen. Verstehen Sie? Das hat mich eigentlich gerettet, sonst wäre ich nicht mehr da.

Ende der 1970er Jahre treten Sie in die Deutsche Kommunistische Partei, die DKP ein. Publikum und Kritiker reagieren entsetzt. Es kommt zu einem zweiten, diesmal für lange Zeit wirksamen Boykott…

Dieser Boykott beziehungsweise die Ablehnung hatte noch eine andere Qualität. Vorher war ich abgelehnt durch die Ablehnung der Offizialität, sei es Medien, Staat, Politik oder Eltern. Was viele Studenten und Jugendliche damals an mir schätzten, ich war ja selber noch jung, war das Rebellische oder das Nichtangepasste. Plötzlich, durch meinen Eintritt in die DKP, wandten sich viele meiner damaligen Fans von mir ab. Das heißt, mein Publikum hat sich plötzlich noch mal verkleinert. Ich bekam, zwar nicht lastwagenweise, aber doch jede Menge zerbrochener Platten. Die Leute haben darauf rumgetrampelt und habe gesagt: „Steck dir die, du Kommunistenschwein, sonst wohin, deine Platten. Wir wollen nichts mehr mit dir zu tun haben. Das hätten wir nicht von dir gedacht, dass du uns so verraten würdest.“ So war das dann. Jetzt ging der Boykott auf einer anderen Ebene weiter. Das war ja auch ein Bekenntnis. Irgendwie links sein, da hätte keiner was dagegen gehabt. So frei schwebend. Aber in eine Partei, in diese kleine feine Partei einzutreten, das wurde als Verbrechen betrachtet und entsprechend geahndet. Auch von einem großen Teil, mindestens der Hälfte, meines damaligen Publikums. Und das waren Millionen.

In den 1980er Jahren engagieren Sie sich auch weiterhin politisch, die Situation scheint sich aber zu entspannen. In einem Text schreiben Sie: „Mit dem Erscheinen Gorbatschows“, fand ein „langsames Abbröckeln meiner bis dahin felsenfesten politischen Überzeugung“ statt. Was waren die näheren Gründe dafür?

Ich habe ja gesagt, mit dem Auftauchen Gorbatschows. Das war auch wieder nur zeitgleich, dass ohnehin schon was abbröckelte. Ich hatte die Sowjetunion in einer Delegation besucht, zweimal war ich dort. Ich war tief erschüttert über das, was mir dort begegnete. Das konnte ich mit meinen idealen Vorstellungen nicht mehr in Übereinstimmung bringen. Da fing das Bröckeln an. Solche Dummheiten beispielsweise habe ich auch begangen, zu sagen: „Sowjetische, also sozialistische Kernkraftwerke sind gut für den Menschen, weil sie für den Menschen sind. Und kapitalistische sind schlecht, weil sie für den Profit gebaut sind.“ Das war so die Einstellung, jetzt mal verkürzt, damit bin ich losgegangen. Wir kennen das Ergebnis, Tschernobyl und so weiter. Das ist dann sehr schnell alles zusammengebrochen, auch in meiner Vorstellung. Ich konnte mich dann bestimmten Wahrheiten auch nicht mehr verschließen. Was nicht meine sozialistischen Grundüberzeugungen im Kern berührt, das hat damit nicht so viel zu tun. Diese Grundüberzeugungen habe ich mir erhalten. Gleichzeitig habe ich aber nicht mehr so diesen Drang, nun die Welt zu verbessern oder zu verändern, wie das während oder vor dieser Zeit war. Ich muss sagen, ich bin da ein bisschen resigniert und müde geworden. Aber das ist vielleicht auch der Verlust der Jugend, der sich da so manifestiert, dass man nicht mehr auf jede Barrikade springt. Das ist ganz normal. Selbst, wenn sich manchmal etwas grundsätzlich zum Besseren verändert, geht es doch auch immer mit einem Verlust einher. Wenn man sich selber verändert, oder irgendetwas verändert, muss man sich umstellen. Selbst wenn es für einen günstig ausgeht, und das ist es ja für mich, im Großen und Ganzen. Privat als auch professionell fühle ich mich sehr glücklich. Trotzdem, auch meine Frau sagt mir das manchmal: „Damals, als du noch so ein bisschen fanatisch warst“, wie ich teilweise auch war und meine sozialistische und kommunistische Weltanschauung vertreten habe, „da hast du mir eigentlich besser gefallen.“ Wenn jetzt Leute irgendwas machen, „wo du sonst wütend fast zur Kalaschnikow gegriffen hättest“, habe ich heute noch ein müdes Lächeln. Das ist bedauerlich. Vielleicht gehe ich noch mal auf die Barrikaden, ich weiß es noch nicht. Würde mich freuen, wenn ich mit achtzig noch mal richtig in Gang käme.

Das Jahr 1989 ist ein Wendepunkt. Aus der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland wird ein Staat. Sie schreiben über diese Zeit: „Die Implosion der kommunistischen Welt, über zwölf Jahre meine weltanschauliche Heimat, trifft mich schwer.“ Es dauert ein halbes Jahrzehnt, bis Sie wieder ein Album produzieren. Sie arbeiten auch wieder öfter mit Kollegen zusammen. Ist das für Sie, als Solisten, nicht eine neue Erfahrung?

Das ist es absolut. Auch das ging wieder mal nicht von mir aus. Ich habe da eine Bellman-CD mit Klaus Hoffmann und Reinhard Mey gemacht. Mit Konstantin Wecker war es genauso, dass er früher schon sagte: „Wir müssen mal was zusammen machen. Wir müssen zusammen auftreten.“ Er hat nicht nachgelassen. Es war seine Idee und auch seine Initiative, weil ich mehr so ein bisschen träge und abwartend war. Auch diese Zusammenarbeit hat sich als höchst fruchtbar erwiesen. Wir beide sind letztendlich Einzelgänger. Wir alle, alle Liedermacher, die es noch gibt, sind eher Eigenbrötler. Umso schöner, wenn sie dann doch mal zusammenkommen.

Gemeinsam mit Konstantin Wecker und Reinhard Mey traten Sie Anfang des Jahrtausends auch bei einer großen Friedenskundgebung anlässlich des Irakkrieges auf. Für kurze Zeit beherrschte damals wieder ein politisches Thema die öffentliche Diskussion. Wenn Sie die Proteste der 1960er mit aktuellen vergleichen, waren diese politisch reifer?

Ganz eindeutig, absolut politisierter. Die Jugend, besonders die studentische Jugend, war zu jener Zeit politisch hellwach und immer in Bewegung. National und international. Das war eine Grundstimmung, hin und her über den Atlantik, die die halbe Welt, die westliche und einen Teil der östlichen natürlich auch noch, erfasste. Es gab kein Beispiel für eine solche Art von Bewegung. Deshalb konnte man davon ausgehen, dass das alles so gut und richtig war. Die Studenten konnten davon ausgehen, dass sie die Guten waren. Böse sind natürlich Nixon und Johnson, die Völkermörder, die in Asien einfallen und so weiter. Weil sie die Guten sind, können sie auch die Welt verändern. Aber heute ist das alles Geschichte oder vielleicht nur eine Episode. Also man hat das jetzt alles schon gehabt und man weiß, wie das gelaufen ist. Das ist noch eine weitere Belastung für die Jugend, für alle nachfolgenden Bewegungen, die jetzt noch kommen. Ich könnte mir denken, dass sie sagen: „Na ja, die ´68er haben Mist gebaut. Das hat doch alles keinen Zweck.“ Es kann sein, dass so eine Grundstimmung sich für längere Zeit verfestigt und ein leidenschaftliches, politischeres oder gesellschaftlich aktiveres, interessiertes Verhalten behindert.

Mit Ihren Liedern vertreten Sie dennoch immer ihre Standpunkte. Was können Ihre Zuhörer von Ihnen und Ihren Tourneen noch erwarten?

Im Grunde kann man erwarten, was man immer von mir erwartet. Schöne, alte Lieder, die vertraut sind, die Leute vielleicht lange nicht gehört haben. Es kommen ja immer wieder neue hinzu. Im Laufe der Jahrzehnte ergab sich da ein Fundus, in dem ich kramen und wühlen kann. Manchmal bin ich erstaunt, wenn ich auf alte Songs stoße, wie frisch die in ihrem Inhalt sind. Da freue ich mich, die wieder wie neue Lieder aufzuführen. Es werden natürlich immer mehr, weil ein paar ja doch immer jedes Jahr wieder dazukommen. Inzwischen sind es eben einige hundert und es gibt nicht mal fünf Prozent unter diesen Liedern, die ich heute nicht mehr singen würde und könnte. Auch ein Glücksfall.

Interview: Gerd Naumann

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